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"In Polen bin ich ein glücklicherer Mensch"


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Hallstadt, Donnerstag, 19. April 2018

Vor 20 Jahren erlebte Ray Wilson seinen künstlerischen Höhepunkt, von dem der sympathische Schotte bis heute nachhaltig zehrt. Damals war er frisch zum Nachfolger von Phil Collins als Sänger bei der S...
Ray Wilson bei einem Auftritt vor einigen Jahren in Haßfurt  Foto: Bopp


Vor 20 Jahren erlebte Ray Wilson seinen künstlerischen Höhepunkt, von dem der sympathische Schotte bis heute nachhaltig zehrt. Damals war er frisch zum Nachfolger von Phil Collins als Sänger bei der Supergruppe "Genesis" auserkoren worden und hat mit der Band das Album "Calling All Stations" veröffentlicht. Trotz guter Kritiken blieben die Reaktionen der Fans eher verhalten - die Fußstapfen seiner beiden prominenten Vorgänger waren einfach zu groß. So trennte man sich nach nur einer gemeinsamen Tournee wieder und Wilson ging fortan solo seinen Weg. Während der 49-Jährige auf seinen Alben primär eigene Songwriter-Qualitäten auslebt, entfaltet der Sänger auf der Bühne gern die ganze Welt von "Genesis". Davon kann man sich jetzt selbst überzeugen, wenn der in Polen lebende Musiker mit seiner Band nach Hallstadt kommt und heute Abend ab 20 Uhr im Kulturboden gastiert. Vorab stand er im Interview Rede und Antwort.

Mr. Wilson, Sie leben als Schotte derzeit in Polen - wieso?
Ray Wilson: Der Liebe wegen: Ich habe mich in ein polnisches Mädchen verliebt. Sie ist Tänzerin, lebt in Posen und ich wollte einfach dauerhaft bei ihr sein. Daher bin ich vor einigen Jahren fest nach Polen gezogen.
Und wie finden Sie sich dort zurecht?
Ganz gut mittlerweile und ich finde, dass Polen und Schotten sich sogar ziemlich ähnlich sind: Wir sprechen zwar unterschiedliche Sprachen, teilen aber viele Mentalitäten und Charaktereigenschaften. Bei beiden Völkern stehen Arbeit und Familie ganz oben. In Polen trinkt man zwar Wodka und in Schottland dafür Whiskey, aber betrunken wird man dadurch genauso.

Was denken Sie als Exil-Brite in Polen eigentlich über die Brexit-Entscheidung?
Ich denke, es war eine schlechte Entscheidung für Großbritannien und Europa. Ich schätze den Grundgedanken der Europäischen Union, auch wenn sicher vieles nicht perfekt ist. Aber was ist schon perfekt? Der Aufschwung der populistischen Rechten überall macht diese Welt dunkler und kälter. Liberal gesinnte Menschen müssen dieser wenig erfreulichen Entwicklung machtvoll, aber friedlich entgegentreten.

Hat diese Entscheidung auch für Sie persönlich Konsequenzen?
Ich hoffe, dass vernünftige politische Kräfte in Großbritannien und der Europäischen Union auch nach dem Brexit einen gemeinsamen Weg für uns alle finden werden. Ein harte Trennung Großbritanniens von der EU wäre doch das Letzte.

Apropos Trennung: Glauben Sie als ehemaliger "Genesis"-Sänger, dass es 50 Jahre nach Bandgründung noch einmal eine echte Wiedervereinigung geben wird?
Nein, ich denke nicht, dass es dazu kommen wird, auch wenn es sicher eine gute Idee wäre. Aber selbst wenn es soweit käme, wäre ich daran sicher nicht beteiligt. Sie schaffen es ja nicht einmal, zu ihrem früheren Gitarristen Steve Hackett eine freundschaftliche Beziehung aufzubauen. Dabei halten lediglich Steve und ich mit unseren Projekten die Legende "Genesis" überhaupt am Leben.
Beziehen Sie sich mit dem Titel Ihres jüngsten Studioalbums "Makes Me Think Of Home" auch auf Ihr eigenes polnisches Exil?
Ach nein, wenn ich ehrlich bin, denke ich gar nicht so oft an meine alte Heimat. Ich bin ein glücklicherer Mensch, seit ich Schottland verlassen habe und in Polen lebe. Nicht, dass Sie mich falsch verstehen: Schottland ist ein wunderschönes Land und die Leute dort sind wahrhaftig, echt und wirklich witzig. Ich habe einfach meinen Frieden woanders gefunden. Ich weiß gar nicht genau, warum das so ist - es ist eben nur so ein Gefühl.

Was darf man jetzt von Ihnen auf der Bühne erwarten?
Mein Publikum ist sehr gemischt und genauso halte ich es mit dem Programm, so dass für alle etwas dabei sein wird. Wir haben noch nie eine Show ausschließlich mit "Genesis"-Songs gespielt. Ich mische immer eigene Songs in das Programm, von denen ich denke, dass sie sich gut einfügen. Mit den Solo-Alben im Gepäck werden wir sicherlich einige aktuelle Songs finden, die gut in das Set passen. Das Wichtigste ist doch, gute Songs auf die Bühne zu bringen - mit jeder Menge Energie und Gefühl.

Das Gespräch führte
Thorsten Hengst.