Druckartikel: In Ebern, da lachen noch die Hühner

In Ebern, da lachen noch die Hühner


Autor: Eckehard Kiesewetter

Ebern, Freitag, 14. Juni 2019

Auf dem Hof der Familie Dorsch zählt noch das Lebewesen. Massenhafte Kükentötung käme für die Bauern nie in Frage.
Mutter Henne und einige ihrer acht frisch geschlüpften Küken auf Freigang in der Eberner Friedrich-Rückert-Anlage.  Foto: Eckehard Kiesewetter


Eckehard Kiesewetter "Hühner müssen weiter sterben." Wenn Monika Dorsch aus Ebern Schlagzeilen im FT liest, wie kürzlich über die massenhafte Tötung männlicher Küken, dann kann sie nur mit dem Kopf schütteln. "Des is net mei Verständnis", sagt die Landwirtin. "So einfach Leben vernichten, des is net meins." Und sie wundert sich, dass die Wissenschaft noch keine Möglichkeit entwickelt hat, das Geschlecht der Tiere bereits in den frisch gelegten Eiern zu bestimmen.

Die Bäuerin betreibt mit ihrer Familie am Kreuzungspunkt der Neubrückentorstraße mit dem Anlagenring noch eine Landwirtschaft im herkömmlichen Stil. Massentierhaltung und Massentötung erscheinen da wie aus einer anderen Welt. Rund 20 Hühner und zurzeit zwei Hähne leben auf dem Hof der Familie.

Die "wilden Hühner"

Das heißt, eines der Hühner gönnt sich seit einigen Wochen eine "Auszeit". Statt im Stall hat die Henne unter einen Holzstapel gebrütet und ist seither mit ihrem achtköpfigen Nachwuchs als "Eremitentruppe" im Anlagenring unterwegs, erzählt Tochter Elisabeth Hanke und lacht. Entdeckt hat dies zunächst niemand, erst als ein Jagdhund vor dem Bretterhaufen anstand, flog das Versteck der jungen Vogelfamilie auf. Huhn und Nachwuchs sind zurzeit nicht in die Stallgemeinschaft und die Hackordnung integriert. Vogelfrei.

Nur morgens, wenn es ans Füttern geht, kehren die "wilden Hühner" zum Bauernhof zurück, "dann sind sie meist richtig ausgehungert und durstig", sagt Elisabeth Hanke. Ein Versuch, die Henne zu fangen, wäre nicht sinnvoll, denn dann würden sich die Küken sofort verstecken, womöglich verhungern.

"Eine Falle bauen?", die Landwirtin winkt ab, inzwischen sind die Jungen gut drei Wochen alt, und eines Tages, wenn sie aus dem Gröbsten raus sind, wird Mama-Henne zum Stall zurückkehren - und der Nachwuchs vermutlich mit ihr. Momentan ist es der Mutter-Schutz-Instinkt, der die abtrünnige Glucke zur Abstinenz vom Stallalltag antreibt. Die Kinder folgen ihr aufs Wort, respektive auf ihren ganz eigenen Gackerton, erzählen die Bäuerinnen.

"Babel, Babel, Babel"

"Spätestens, wenn's kalt ist, kommen die zurück", ist sich Monika Dorsch sicher. Sie hofft nur, dass kein Fuchs zuschlägt oder die Hühner ihren Bewegungsradius Richtung naher Straße ausdehnen. Momentan genügt es, wenn die Seniorin morgens mit dem Futter-Eimer an der Stalltür auftaucht und "Babel, Babel, Babel" ruft.

"Babel" ist nicht etwa der name der Henne, denn Tiere, die eines Tages geschlachtet werden, erhalten auf dem Hof keinen Namen. Diesen Ruf hat die 86-Jährige schon als Kind erlernt, und darauf hören all ihre Hühner. Die Enten beispielsweise ruft man in Ebern traditionell "Billa, Billa" oder die Gänse "Wibala,Wibala". Aber das wird wohl regional unterschiedlich sein, nehmen Mutter und Tochter an.

Mit dem Pendel

Oma Monika ist auf dem Hof die Hühnerexpertin und sie ist es auch, die die Fruchtbarkeit der Eier auspendelt, um sie dann gezielt den Hühnern zum Brüten unterzuschieben. Wie's geht, hat ihr mal jemand gezeigt. Eigentlich auch, wie man herausfinden kann, ob es eine Henne oder ein Hahn wird. Aber das mit der Geschlechtsbestimmung hat sie wieder vergessen.

Noch heute aber bindet sie, um herauszufinden, ob ein Ei befruchtet ist, den Ehering an einen Faden. Wenn er sich über dem Ei hin- und herbewegt, dann ist es geeignet. In den allermeisten Fällen behält das Pendel recht, wie sich regelmäßig nach 21-tägigem Brüten beweist. Gut, manchmal liegt ein Ei zu weit am Rande, bekommt nicht genug Wärme ab, und ab und an wird auch mal eines zerdrückt. "Aber das ist eben die Natur", sagt Elisabeth, "das war schon immer so."

Natürlich ist es ein Unterschied, ob ein landwirtschaftlicher Betrieb auf große Produktionsmengen, oder - wie im Falle der Familie Dorsch/Hanke - vorwiegend auf den Eigenbedarf ausgerichtet ist. Aber gerade diese Bodenständigkeit des Familienbetriebs, der schon seit mindestens drei Generationen besteht, wird auch immer wieder von Feriengästen und anderen Passanten anerkannt, die durch den Anlagenring spazieren und interessiert stehenbleiben. Wo sonst kann man noch Pferde und andere Tiere aus nächster Nähe sehen?

Hühner ausschließlich zum Eierlegen oder nur für die Fleischproduktion zu züchten, kommt dort nicht in Frage. "Für die ist ein Tier ein Produkt", sagt Elisabeth Hanke über Legebatterien und Mastbetriebe, "für uns ist es ein Lebewesen."