Die Gesundheitsämter müssen die Ungeimpften anschreiben, die Gültigkeit von Attesten überprüfen und die Bereitschaft der Ungeimpften taxieren, sich womöglich doch noch impfen lassen. "Wir werden uns in jedem einzelnen Fall die Zeit für eine sorgfältige Prüfung nehmen", sagt Förtsch.
Dabei fordert die Corona-Krise die Gesundheitsämter schon jetzt bis an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit - und oft auch darüber hinaus. Gesundheitsämter in Mecklenburg-Vorpommern, Thüringen und Berlin kündigten bereits an, mit Durchsetzung der Impfpflicht überfordert zu sein.
Auch der Augsburger Landrat Michael Sailer (CSU) tadelt es als eine "Farce", dass der "Gesetzgeber die Verantwortung der Kontrolle der Nachweise ausgerechnet auf die ohnehin schon überlasteten örtlichen Gesundheitsämter abwälzt". Sailer fürchte, dass die personell oft unterbesetzten und mangelhaft digitalisierten Gesundheitsämter in der Corona-Krise ein weiteres Mal zu Sündenböcken einer säumigen Politik werden könnten.
Eines jedenfalls sticht ins Auge: Knapp sechs Wochen, bevor die einrichtungsbezogene Impfpflicht Gesetzeskraft erlangt, billigt der Gesetzgeber den Gesundheitsämtern einen erheblichen Entscheidungsspielraum zu.
Man kann diesen Spielraum als Vertrauensvorschuss in die Gesundheitsämter interpretieren. Man kann diesen Spielraum - wie etwa die Vereinigung der Pflegenden in Bayern - aber auch mit der Sorge vor "uneinheitlichen Ergebnissen" bei der Durchsetzung der Impfpflicht in Krankenhäusern und anderen medizinischen Einrichtungen verbinden.
Die möglichen Probleme beginnen schon damit, dass die Gesundheitsämter bislang nicht wissen, welche zeitliche Frist sie den Ungeimpften für ihre Antwort einräumen sollen. Von einer "angemessenen Frist" schreibt auf Anfrage dieser Zeitung das bayerische Gesundheitsministerium. Aber was heißt "angemessen"? Und verstehen zwei Gesundheitsämter unter "angemessen" wirklich immer dasselbe? In den Aufgabenbereich der Gesundheitsämter fällt es anschließend auch, Betretungsverbote gegen ungeimpfte und nicht genesene Arbeitnehmer auszusprechen. In ihrer Wirkung sind Betretungsverbote Beschäftigungsverbote.
Allerdings müssen Gesundheitsämter Betretungsverbote nicht aussprechen. Sie können dies nur tun.
Auf Anfrage dieser Zeitung überantwortet das bayerische Staatsministerium für Gesundheit und Pflege (StMGP) die Entscheidung über Betretungs- und Beschäftigungsverbote allein dem "pflichtgemäßen Ermessen des Gesundheitsamts". Dieses habe "dabei alle Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen". Zu diesen "Umständen", zählt das StMGP insbesondere, "dass die Versorgungssicherheit für die pflegebedürftigen und kranken Menschen sowie für die Menschen mit Behinderung durch die Anordnung von Betretungs- oder Tätigkeitsverboten nicht gefährdet werden darf". Wann aber gilt eine Versorgungslage in diesem Sinne als gefährdet? Auch darüber schweigt die Politik bislang. Stattdessen verweist eine StMGP-Sprecherin auf das "gemeinsame Interesse" von Bund und Ländern daran, dass "die Auslegung und Umsetzung der einrichtungsbezogenen Impfpflicht möglichst einheitlich erfolgen". "Wir erwarten bundesweite Vollzugshinweise", sagt Pressereferent Förtsch. Ob und wann diese kommen werden? Unklar. "Es gibt derzeit keine belastbaren Entscheidungskriterien für die Gesundheitsämter", bestätigt eine Sprecherin der Regierung von Oberfranken.
Prophylaktisch warnt Roland Engehausen, Geschäftsführer der Bayerischen Krankenhausgesellschaft, deshalb vor einer "unterschiedlichen Umsetzung von Einrichtung zu Einrichtung und von Gesundheitsamt zu Gesundheitsamt".
Falls in einer Region nicht geimpfte Beschäftigte "ohne klar nachvollziehbare Gründe" weiter arbeiten dürften und in einer anderen nicht, wäre das mit Blick auf Rechtsfrieden und Akzeptanz der Impfpflicht "nicht gut".
Das Kriterium der Versorgungssicherheit ist darüber hinaus dazu geschaffen, einen Keil zwischen die ungeimpften Beschäftigen zu treiben. Denn unter der Maßgabe der Versorgungssicherheit könnte ein Chirurg trotz fehlender Impfung womöglich weiterarbeiten.
Dagegen dürfte sich eine ungeimpfte Kantinenkraft schwerer tun, ihre überragende Bedeutung für die Gesundheitsversorgung zu reklamieren: "In diesem Punkt steckt sozialer Sprengstoff", sagt Alexander von Hof, Vorstandsmitglied der Vereinigung der Pflegenden in Bayern.
Chronisch fehlendes Personal
Die Fragen um die einrichtungsbezogene Impfpflicht und ihre praktische Durchsetzung fallen in eine Zeit, in der viele Kliniken und Einrichtungen schon seit Längerem über chronisch fehlendes Personal klagen - und im Zuge der einrichtungsbezogenen Impfpflicht fürchten müssen, weitere Arbeitskräfte unwiederbringlich zu verlieren.
Alexander von Hof rechnet deshalb auch damit, dass die Gesundheitsämter den ihnen zugebilligten Ermessensspielraum aus diesem Grund auch "voll ausschöpfen" werden: "Es will doch keiner auch nur in den Verdacht kommen, die gesundheitliche Versorgung zu gefährden."