Im Ton schlummert die Sensation
Autor: Jochen Nützel
Kulmbach, Montag, 02. Juni 2014
Urzeit Für Stefan Eggmaier gehen die Uhren anders. Wenn der Kulmbacher zur Arbeit geht, dreht er die Zeit zurück - um schlappe 185 Millionen Jahre. Als Präparator im Bayreuther Urwelt-Museum lässt er Fossilien sprechen.
von unserem Redaktionsmitglied Jochen Nützel
Kulmbach/Bayreuth — Brocken, Klumpen, Erde, Dreck. Mit Engelsgeduld im vergangenen Jahr aus dem Boden gemeißelt, bei Wind und Starkregen. Zwei auf vier Meter Tonmergel, grau und geriffelt. Undefinierbar. Unspektakulär, mag der Unbedarfte denken, wenn er sich das geologische Steinpuzzle besieht, das sich Stefan Eggmaier auf dem Boden ausgebreitet hat und das in keine Schachtel passt. Er ruckelt hier, schiebt dort, schnauft angesichts der Arbeit, die ihn erwartet, um mit einem Lächeln auf dunkle Partien im Schichtgestein zu deuten. "Da verläuft ein Knochen, und da könnten Wirbelkörper versteckt sein."
Die Karibik vor der Haustür
Sie schwingt hörbar mit: die Lust am Schürfen nach Unentdecktem.
Dafür macht sich der Kulmbacher Stefan Eggmaier gern die Finger schmutzig, buckelt in Steinbrüchen und Tongruben, um der Erde genau das zu entreißen, was vor Millionen Jahren ungezählte Tonnen an Wasser, Schlick und Geröll in Kombination mit Sand und Sediment begruben. In einer Zeit, als die Karibik vor der Haustür lag, die Region um Kulmbach, Bindlach und Bayreuth überwogt wurde von den Ausläufern eines urzeitlichen Meeres. Festland war nicht - deswegen hat es der Fachmann fürs Vorgestern vor allem mit Fossilien schwimmender Lebewesen zu tun.
Die haben im Laufe ihres Vergehens buchstäblich Kreide gefressen. Aus der Kreidezeit aber sind sie nicht, sondern entstammen dem Erdzeitalter des Jura. Einer von ihnen: Temnodontosaurus (ohne Rex), in sperriges Deutsch transferiert Schnittzahnsaurier, ein Delphin-ähnlicher Urzeitjäger mit etwa sieben Metern Körperlänge.
Etwa zweieinhalb davon dürften übrig geblieben sein - vorausgesetzt, Verwesung und Aasfresser haben dem Urvieh vor der Steinwerdung nicht zu viel an Substanz geraubt.
Eggmaiers wichtigste Voraussetzung für das Herausarbeiten, also das Präparieren? "Geduld", sagt er trocken. Er weiß, dass ihn diese Ansammlung aus Resten von Knochen und ganz viel Matrix drum herum Monate beschäftigen wird. Viele Stunden wird er wie gewohnt allein sein in der Werkstatt, der Außenstelle des Urwelt-Museums, im Industriegebiet Sankt Georgen. Wird sich schabend mit dem Druckluftmeisel Millimeterchen für Millimeterchen vorwärts tasten. Die Absauganlage hilft, dass sich nicht über alles in den Räumen ein ewig beweglicher Flor aus Staub legt.
Das ist sein Reich. Stefan Eggmaier ist im wahrsten Wortsinn steinreich.
In den Magazinschränken, hoch wie ein Fußballtor, lagern noch die Fundsachen aus jener Anfangs-Ära, als das Urwelt-Museum noch "Naturalienkabinett" hieß: Lilien in Muschelkalk neben dem Geweih eines Hirsches, der vor rund 100 000 Jahren das Zeitliche segnete. Hunderte Knochen, unter anderem vom Hinterfußskelett der Höhlenhyäne. Die leeren Augenhöhlen eines Höhlen bärenschädels lassen erahnen, wie mächtig Meister Ur-Petz gewesen sein muss.
Stefan Eggmaier lässt den Kopf links liegen und setzt sich an einen Tisch, zückt den Bleistift und ruckelt seine Brille zurecht. "Das ist mal was ganz anderes, eine hübsche Abwechslung" sagt er und beugt sich dabei über ein Blatt Papier. Linien, Schraffuren, merkwürdige Begrifflichkeiten: "Hauptflözhorizont" schreibt er neben eine gezeichnete Beule. "Ich beschäftige mich hier mit dem Dogger", tupft er hin.
Wie bitte? "Das wird das geologische Profil des so genannten Dogger, des Braunen Jura in Oberfranken. Die Aufrisszeichnung soll später als Erklärtafel in einer Ausstellung im Museum hängen."
Wer sich mit Fauna und Flora der Frühzeit befasst, der muss natürlich wissen, welche Abfolge die Schichten haben, in denen er nach Relikten fahndet. Stefan Eggmaier bezeichnet sich selber als Präparator, auch wenn er sich das sozusagen im Selbststudium angeeignet hat. Learning by doing, aber manchmal auch Lernen aus Fehlern. Offiziell ist der Kulmbacher beschäftigt als technischer Angestellter bei den Staatlichen naturwissenschaftlichen Sammlungen Bayerns.
Eigentlich ist er vieles in einem: ein bisschen Mediziner und Veterinär, Zahnarzt und Chemiker, aber auch Handwerker. Schreiner hat er mal gelernt. "Im Museum repariere ich auch Schaukästen und hoble klemmende Türen ab." Den Job als Schreiner hängte er vor 20 Jahren an den Nagel.
"Der Beruf ist nach meinem Dafürhalten leider nicht mehr das, was er mal war." Das mit den Fossilien, den Sauriern und der Suche danach: Das ist wohl seine wahre Berufung. Sein Faible, schon als Knirps.
Mit Ammoniten fing es an
Mit vier Jahren entdeckt der gebürtige Münchner auf einem Acker bei Würgau seinen ersten Ammoniten. "Seither wollte ich wissen: Wo kommt das her? Wie entsteht sowas?" Und vor allem: Wo gibt es mehr davon? Die sonntäglichen Wanderungen und Ausflüge lenkt Klein-Stefan geschickt so, "dass in jedem Fall ein Steinbruch auf dem Weg lag". Der 49-Jährige grinst. Er hat seine eigene Sammelleidenschaft auf See-Igel konzentriert.
In einer Schachtel in der Werkstatt liegen Exemplare, die aussehen, als wären sie in einen Eimer Alpina-Weiß gefallen. "Die habe ich als Jugendlicher mal mit Säure behandelt.
Das Ergebnis was suboptimal." Die Löcher in den Fossilien zeugen vom damals noch nicht ausgereiften Gespür für die zerbrechlichen Materialien und was chemische Reaktionen anrichten.
Mit einem Sensationsfund wie dem Temnodontosaurus muss der Kulmbacher freilich behutsamer umgehen. Das Urvieh, aufgespürt in der Mistelgauer Tongrube, ist mit Epoxidharz verstärkt, damit die fragilen Überbleibsel nicht noch weiter zerbersten. "Wenn das Ding noch 20 Jahre Wind und Wetter ausgesetzt gewesen wäre, hätten wir noch die Brösel zusammenkehren können." Und das geschätzte 185 Millionen Jahre, nachdem der Fischsaurier verendete. Manchmal ist Zeit eben relativ. In diesem Fall war es relativ knapp.
Knapp bemessen ist die freie Zeit, in der sich der Kulmbacher nicht mit der Erdgeschichte und den ausgestorbenen Bewohnern beschäftigt.
Wer glaubt, den 49-Jährigen jüngst in einer gänzlichen anderen Funktion gesehen zu haben, den trügen die Sinne nicht: Stefan Eggmaier kann nicht nur mit tiefen Erdschichten, sondern auch tiefen Tönen: Er war/ist Bassist bei Euroschäck. "Das Konzert zur Wiedervereinigung war genial." Trotzdem hängt sein Instrument mittlerweile wieder in der Ecke. "Ja, ich gebe zu: Zum Üben fehlt mir irgendwie die Geduld."