Druckartikel: Im Namen der Menschlichkeit

Im Namen der Menschlichkeit


Autor: Christiane Lehmann

Coburg, Mittwoch, 20. Februar 2019

Wenn gestandene BRK-Männer weinen müssen, weil sie mit so einem Anblick nicht gerechnet hatten. Fabian Bätz erzählt von seinem humanitären Einsatz für Friedensdorf international.


Drei Tage und drei Nächte sind Mohammad und sein Vater durch Wälder und auf unbefestigten Straßen zu Fuß unterwegs. 180 Kilometer von Nuristan nach Kabul. Aufgrund einer schweren Knochenentzündung im Oberschenkel kann der achtjährige Junge nicht mehr selbst laufen, so dass ihn sein Vater auf dem Rücken trägt. Ziel ist das Friedensdorf international, wo Kevin Dahlbruch und Eva Kammhuber vom Friedensdorf-Einsatzteam den 79. Afghanistan-Hilfseinsatz vorbereiten. Zusammen mit annähernd 80 schwer kranken und verletzten Kindern aus vier verschiedenen Kriegs- und Krisengebieten (Afghanistan, Tadschikistan, Usbekistan und Kirgistan) wird der Achtjährige nach Deutschland ausgeflogen, um medizinisch betreut zu werden. Am Flughafen Düsseldorf, dem einzigen Flughafen, der keine Start- und Landegebühren dafür verlangt, werden Mohammad und seine Leidensgenossen erwartet. 20 Rettungsfahrzeuge des Roten Kreuzes und zwei große Busse stehen schon bereit.

Unter den vielen ehrenamtlichen und freiwilligen Helfern sind auch drei aus Coburg: Fabian Bätz, Fachsanitäter und Ausbilder bei der BRK-Bereitschaft Coburg, Michael Wagner und Ralf Schramm von der Bereitschaft Ebersdorf.

Für Fabian Bätz ist es der erste humanitäre Einsatz dieser Art. Die Aufregung ist ihm anzumerken. Gebannt starrt er auf das Flugzeug. Seit knapp zehn Stunden läuft sein Einsatz. In wenigen Minuten wird die Gangway ausgefahren. Die drei Coburger haben bereits alle notwendigen Infos bekommen: Zwei Jungen im Alter von acht und neun Jahren mit wunden Füßen und schweren Unterschenkelverletzungen werden sie in ihre Obhut nehmen und nach Rostock in die dortige Klinik fahren.

Jetzt ist es so weit. In Vierergruppen gehen die Helfer ins Flugzeug, um die Kinder herauszuholen. "So etwas habe ich noch nicht gesehen", sagt Fabian Bätz, seit 20 Jahren fürs Rote Kreuz im Einsatz. "Kinder mit verbrannten Gesichtern, ohne Augen, auf Krücken, eingebunden, von still bis wimmernd - wir hatten alle sofort Tränen in den Augen." Eine Woche ist seither vergangen, aber die Bilder sind für Fabian Bätz immer noch präsent.

Ein etwa dreijähriges Mädchen mit verbunden Armen und Beinen, die vermutlich gar nicht mehr da waren, schaut ihm mit leidendem Blick ins Gesicht. Flehend streckt es die "Arme" aus und der 28-Jährige nimmt das Kind vorsichtig hoch und bringt es nach draußen. "So einen grauenvollen Anblick vergisst man nicht." Jedes Kind trägt ein Armband mit seiner Identifikationsnummer, seiner Diagnose, dem Geburtsdatum und - mit Glück - seinem Namen.

Es dauert nur wenige Minuten, dann sitzen die beiden Jungen aus Afghanistan und Usbekistan im Coburger Rettungswagen in Richtung Rostock. Der ältere der beiden weint bitterlich. Er möchte nach Hause telefonieren. Doch er muss vertröstet werden. Die Verständigung läuft mit Händen und Füßen. Erst in Rostock wird der Junge daheim anrufen können.

"Als wir losfuhren, schauten wir uns an und dachten nur: Gott sei Dank geht es uns gut. Gott sei Dank haben wir nicht solche Probleme wie diese Kinder." Erneut kommen den Männern die Tränen.

Wie gut, dass sie ein paar Seelentröster im Gepäck haben. Auf der Sani-Trage breitet Fabian Bätz seine "Mitbringsel" aus: Er hat zwei Stoff-Igel zum Kuscheln gekauft, Überraschungseier, Schokobons und Milchbrötchen. Sechs Stunden bis Rostock. Zeit zum Naschen, Kuscheln und Schlafen - für die Buben. Der erfahrene Sanitäter Bätz macht kein Auge zu, kann sich nicht ausruhen - obwohl er weiß, dass er die Strecke von Rostock nach Coburg fahren muss. Die beiden anderen haben sich bisher am Steuer abgewechselt.

Kurz vor Mitternacht heißt es dann schon wieder Abschied nehmen. Eine letzte Umarmung ein letztes Foto und die Kinder verschwinden hinter der Tür der Rostocker Ambulanz. "Am liebsten hätten wir sie mit nach Coburg genommen. Wir hatten sie schon so in unser Herz geschlossen", sagt Bätz. Doch das Klinikum Coburg ist (noch) kein Kooperationspartner von Friedensdorf international. Fabian Bätz und Michael Wagner möchten sich jetzt dafür einsetzen, dass auch das Klinikum hier Kinder aufnimmt und kostenlos behandelt. "Wir wären gern Ansprechpartner und würden uns kümmern", betont der engagierte junge Mann, der tatsächlich vor 20 Jahren erstes Gründungsmitglied der BRK-Bereitschaftsjugend Coburg war. "Das ist meine zweite Heimat und die humanitäre Arbeit als Teil der BRK-Aufgaben ist sehr, sehr wichtig. Das habe ich am eigenen Leib erfahren." Michael Wagner ergänzt: "Echte Rot-Kreuz-Arbeit, die unter die Haut geht!"

Für Fabian Bätz war es nicht der letzte 24-Stunden-Einsatz, den er für Friedensdorf international gefahren ist. Das steht fest. Es ist ihm eine echte Herzensangelegenheit, die im Moment von der Vorstellung lebt, dass Mohammed und all die anderen Kinder in ein paar Monaten wieder nach Hause in die Obhut ihrer Eltern geflogen werden - ein bisschen gesünder, ein bisschen glücklicher, vielleicht schmerzfrei.