Im Gespräch zählt Blickkontakt
Autor: Sarah Seewald
, Montag, 24. August 2015
Selbsthilfe Anna Reinmann ist seit über 30 Jahren schwerhörig. Mit einem Elektrodenträger in jeder Hörschnecke muss sie auf das Gespräch nicht verzichten, anderen aber manchmal erklären, dass es auch für Schwerhörige zu laut sein kann.
von unserem Redaktionsmitglied Sarah Dann
Heßdorf/Spardorf — Ein nachträgliches Geburtstagsgeschenk zur Volljährigkeit, eines auf das Petra Karl gerne verzichtet hätte, damals vor 27 Jahren. Drei Tage nach der Feierei wacht sie mitten in der Nacht auf. Es ist drei Uhr und sie weiß es sofort: Sie hört nichts mehr. Nicht das Ticken des Weckers, nicht das Tappen durch die Dunkelheit, als sie sich auf ins Schlafzimmer ihrer Eltern macht, noch nicht einmal deren müdes Gebrummel, bis sie hellwach begreifen können, was ihre Tochter ihnen mitteilen möchte.
"Es hat mich wahnsinnig gemacht", erinnert sich Petra Karl an die Nacht der Stille, die ihr ganzes junges Leben verändern sollte und in der all ihre Pläne erst einmal zerstört wurden. Seit 27 Jahren ist Petra Karl auf dem rechten Ohr taub. Auf dem linken Ohr hört die 45-Jährige mittlerweile wieder ungefähr 30 Prozent.
Seit einiger Zeit überlegt sie, sich auf dem rechten Ohr ein Cochlea-Implantat (CI) einsetzen zu lassen.
Ganz besonderes Hörgerät
Eine solche elektronische Innenohr-Prothese hat ihrer Kollegin Anna Reinmann vor über zehn Jahren ihr Gehör und damit auch ihr Leben zurück gebracht. Anna Reinmann bekam mit 20 Jahren Gleichgewichtsstörungen, kippte ständig um, verlor das Bewusstsein. Bei einer Operation am Hörnerv, wodurch die Ohnmachtsanfälle gestoppt werden sollten, wurde dieser beschädigt. "Links war anfangs noch alles gut, aber rechts ist es immer schlechter geworden", sagt Anna Reinmann. Mehrere Gehörstürze beanspruchten ihre Ohren so, dass sie im Alter von 30 Jahren "total am Boden" war. Sie besuchte keinen Elternabend mehr, mied den Kontakt zu Freunden, versteckte sich regelrecht zu Hause. "Man geht den Weg in die Isolation", stimmt Petra Karl ihren Erzählungen bei.
Die heute 59-jährige Anna Reinmann sah erst 15 Jahre nach dem Gehörverlust wieder eine neue Lebensperspektive. Mit 45 Jahren hat sie Anfang 2000 bei einem Reha-Aufenthalt Cochlea-Implantate kennen gelernt. Nach dem Motto "Hauptsache hören" ließ sie sich 2002 einen Elektrodenträger in die Hörschnecke einsetzen, ein Sprachprozessor und eine Sendespule werden am Ohr und am Hinterkopf befestigt. Relativ schnell habe Anna Reinmann wieder verstehen können, "ich war wie neugeboren", sagt sie. Damals wie heute gelten Spielregeln, damit hochgradig Schwerhörige wie Reinmann oder Karl einem Gespräch folgen können: Im Raum muss es ruhig sein, Nebengeräusche können schnell zu einer Reizüberflutung für Schwerhörige werden, denn CI-Träger können nicht filtern, was gehört werden soll und was nicht. Einen illusteren Kaffeeklatsch oder große Geburtstagsfeste besuchen sie eher selten.
Wichtig ist, dass der Gesprächspartner etwas langsamer, deutlicher, vielleicht auch ein bisschen lauter spricht, aber auf gar keinen Fall schreit. Wenn man sich zusätzlich in die Augen schaut und nacheinander redet, lässt sich für einen Augenblick vergessen, dass eine Behinderung das Leben immer wieder beeinträchtigt. Die Sache mit dem Telefonieren zum Beispiel, die hat Petra Karl schon vor längerer Zeit Mann und Kindern überlassen.
Schwerhörige sind anders
Dass manche Schwerhörige selbst keine Gesprächsdisziplin beweisen, ärgert besonders Anna Reinmann, die auch immer wieder erlebt, dass neu installierte Induktionsanlagen in Kirchen nicht genutzt werden - aus Eitelkeit, weil's bisher ja auch irgendwie ohne ging. Ja, "es gibt Schlimmeres, aber man muss immer erst mit seinem fertig werden", sagt Reinmann, die mittlerweile gelernt hat, mit ihrer körperlichen Einschränkung, ihrer Behinderung, umzugehen: "Umso länger man schwerhörig ist, desto selbstbewusster wird man." Auch Petra Karl ist stark, lacht, versteckt ihr Ohr mit Hörgerät nicht krampfhaft hinter ihren langen, dunkelblonden Haaren.
Was die Spardorferin immer noch "furchtbar" trifft, sind Begegnungen mit Menschen, die von ihrer Einschränkung neu erfahren, augenblicklich überfordert sind und dann nur noch mit ihrem Mann sprechen, sie gar nicht beachten. Oder, dass ihr Sohn in der Schule für seine schwerhörige Mutter gehänselt wurde. Das, was aber letztlich zählt, ist der Zusammenhalt, wenn der Sohn nach Hause kommt und sagt: "Mama, du kannst doch gar nichts dafür, dass du schlecht hörst."
Ob ein Hund bellt oder eine Katze in der Nachbarschaft miaut, aus welcher Richtung ein Geräusch kommt, das können Anna Reinmann und Petra Karl seit vielen Jahren nicht mehr wahrnehmen. Dank technischer Unterstützung im Ohr können sie sich aber untereinander darin bestärken, dass auch ein schwerhöriges Leben lebenswert ist.