Druckartikel: "Ich glaub', da sitzt der Strauß"

"Ich glaub', da sitzt der Strauß"


Autor: Siegfried Sesselmann

Stadtsteinach, Freitag, 08. Januar 2016

Vor über 20 Jahren war der bayerische Ministerpräsident zum Mittagessen in Stadtsteinach.
Links im Bild die Metzgerei und Bierwirtschaft Reuther im Jahre 1937 Repros: Sesselmann


Man stelle sich vor, es war 1983, der Gasthof Metzgerei Reuther am Marktplatz in Stadtsteinach wartete auf die Ankunft zweier Busse. Alle Arbeiten konzentrierten sich auf den Ansturm, als sich beinahe unbemerkt eine kleine Männergesellschaft in der Gaststube einfand. Gastwirt Hans Reuther schickt die Bedienung Wilhelmine mit dem Auftrag los, die Gäste höflich hinauszukomplimentieren, da eine geschlossene Gesellschaft in Anmarsch sei. Doch die Frau kommt unverrichteter Dinge aufgeregt wieder zurück und stottert: "Da sitzt einer, der sieht aus wie der Franz Josef Strauß." Was war passiert?
Die einen erzählen, der ehemalige bayerische Landesvater Franz Josef Strauß war auf dem Weg von Coburg nach Wunsiedel; andere berichten, er wäre in Neukenroth hinter Kronach gewesen und wollte auf seinem Weg kurz in Stadtsteinach einkehren. Man plante, das Café Michel in der Forstamtstraße zu besuchen und die örtliche Polizei stellte einen Beamten ab, um die ankommenden Autos mit Münchner Nummer rechtzeitig in die richtige Straße zu leiten. Aber anscheinend war dieser in seiner wichtigen Mission mit Passanten und Anwohnern so vertieft gewesen, so dass die Münchner Kolonne plötzlich auf dem Marktplatz in Stadtsteinach stand.


Verfahren

In Zeitnot, wie Politiker gewöhnlich sind, ging man schnurstracks in den Ratskeller, der anscheinend recht leer schien und freute sich auf eine kleine Essenspause. Dass das Urgestein der CSU durch Zufall in einer SPD-Hochburg-Gaststätte landete, bringt heute noch viele Stadtsteinacher zum Schmunzeln.
Franz Josef Strauß (1915 - 1988) stammt selbst aus einer Metzgerei im Münchner Stadtteil Maxvorstadt und ließ es sich nicht nehmen, nach dem Genuss der fränkischen Bratwürste einen Blick in die Küche zu werfen und mit der Chefin zu reden.
Bereits nach einer halben Stunde war der spontane Abstecher zu Ende, doch zuvor musste der Ministerpräsident auf einer Ansichtskarte des Ratskellers sein Autogramm hinterlassen. Denn man wollte die einmalige Gelegenheit nutzen und einen Beleg besitzen, dass der Landesvater mit seiner Frau Marianne im Ratskeller Reuther zu Gast gewesen war.
Der Name Reuther ist in Deutschland gleichmäßig verteilt und beschränkt sich nicht nur auf ein Gebiet. In einer Volkszählung 1940 in den Vereinigten Staaten von Amerika erreichte allein dort der Name Reuther über 100 000 Ergebnisse.


Verschiedene Bedeutungen

Eigentlich ist er eine Berufsbezeichnung. Zum einen kann der Name vom Reiter abgeleitet werden, und Martin Luther schrieb für Reiter durchgehend Reuter. Zum anderen steht er in Verbindung zum Wort "roden" - ein Bauer, der sein Land gerodet hat, kann ein Reuter sein. Weiterhin liegt die Vermutung nahe, dass auch ein Reitherr der Ursprung zu Reuter sei, wenn einer gemeint ist, der im Mittelalter sich um die Verwaltung der Stadteinkünfte kümmert. Die Varianten Rether, Reuder, Reither, Reutther sind andere Schreibweisen von Reuther.


Sechs Generationen Metzger

Die Vorfahren der Metzgerdynastie Reuther in Stadtsteinach lassen sich sechs Generationen zurückverfolgen. So ehelichte 1814 ein Metzger Johann Georg Reuther (1787 bis 1826) aus der Elbersreuther Mühle die Tochter des Drechslermeister Michael Dietz in zog in die heutige Kulmbacher Straße 2 ein.
Sein Sohn Johann Reuther (1821 bis 1882) heiratete, nachdem seine Frau Anna Hebentanz verstorben war, die Metzgerswitwe Kunigunda Geyer aus dem Marktplatz Nummer 6 und zog 1851 bei ihr ein. Mit diesem Jahr beginnt die Familientradition der Familie Reuther in diesem Haus.
Dessen Sohn, wieder ein Johann Reuther (1855 bis 1919), war zuerst mit Margarethe Brückner aus Ludwigschorgast verheiratet und ehelichte als Witwer 1894 eine Margareta Backer aus Oberzaubach. Von den insgesamt zehn Geburten führt eine Linie nach Presseck zum heutigen Pressecker Hof, eine weitere Linie nach Marktschorgast und eine Linie in die Bahnhofstraße 16 in Stadtsteinach, wo ein Simon Georg Reuther eine Elisabeth Motschenbacher heiratete. Ein weiterer Sohn, Stefan Reuther (1891 bis 1958), nun in der vierten Generation, wurde mit der Weiterführung der Metzgerei am Marktplatz beauftragt.


Bier und Bratwürste

Er ehelichte 1922 Franziska Spindler, die aus der Bierwirtschaft Georg Spindler in der Kronacher Straße 23 stammte und liebevoll Frieda genannt wurde. Von den sieben Kindern wurde der älteste Sohn Johann Reuther (1926 bis 1990) natürlich wieder Metzgermeister und führte die Metzgerei und die Gastwirtschaft weiter.


Tradition lebt weiter

Aus der Ehe mit Inge Heller aus Rugendorf stammen zwei Söhne. Der älteste, wieder ein Stefan, pflegt die Tradition mit seiner Frau Anita weiter und der andere Sohn Thomas zog in die Ferne und fand dort sein Glück.
Die Bezeichnung "Ratskeller" erhielt der Gasthof Reuther erst nach den Umbauten 1968 bis 1970. Eine neue Schlachtanlage wurde eingerichtet und der Gasthof wurde neu gestaltetet, sodass nun in der Gaststätte Platz für 45 Personen und im Nebenzimmer für 20 Personen ist. Es entstanden Fremdenzimmer mit insgesamt neun Betten und seit 1990 können Gäste vor der Gaststätte speisen, trinken und das Treiben auf dem Marktplatz beobachten.
Früher stand hier ein Kastanienbaum und darunter wurden bei größeren Festen die Bratwürste gebraten.Jedoch nicht nur auf dem Marktplatz war der Reuthers Hans präsent, sondern auch im ehemaligen Schützenhaus im Ortsteil Ziegelhütten.
In dem Gebäude, 1860 erbaut, 1947 abgebrannt und wieder aufgebaut, fanden neben den Schützenfesten auch viele Faschingsveranstaltungen statt. Die Metzgerei Reuther betrieb hier die Küche und aus der offenen Küchentheke zog der Geruch von Sauerkraut und Reuthers Bratwürsten immer durch den gesamten Saal bis auf die Bühne.


Ende einer Ära

1987 schloss der Verkauf von Fleisch und Wurstwaren aus der Metzgerei am Marktplatz, der seit 1791 neben weiteren Metzgereien den Bedarf der Stadtsteinacher an Fleisch und Wurst deckte. Stadtsteinach verlor wieder eine Metzgerei. 1810 gab es in Stadtsteinach zehn Metzger und heute? Doch wenn Feste und Veranstaltungen in Stadtsteinach stattfinden, zieht der Chef Stefan Reuther gern seine Metzgerkleidung an, wurstet und bereitet Speisen und Gerichte zu.