Hilfe aus der Opferrolle
Autor: Katharina Müller-Sanke
Bayreuth, Dienstag, 21. Juni 2016
Das Bayreuther Frauenhaus feiert sein 30-jähriges Bestehen. Die Arbeit des Hauses hat sich in dieser Zeit verändert, doch sie ist wichtig wie eh und je.
katharina müller-sanke
Verprügelt, erniedrigt, misshandelt oder unterdrückt. Die Frauen, die Christine Ponnath, der Leiterin des Frauenhauses Bayreuth, täglich gegenübersitzen, haben eine schwere Zeit hinter sich. Ihre Lebenssituationen sind ganz unterschiedlich: Manche haben kleine Kinder, manche sind schon im Seniorenalter. Aber sie alle waren Opfer und sie alle hatten oder haben Angst. Sie hatten so viel Angst, dass sie den Schritt gewagt und Hilfe gesucht haben.
Christine Ponnath und ihr Team haben schon Hunderten Frauen geholfen, ihnen den Rücken gestärkt und ganz praktisch mit angepackt. Was sie nie tun, ist, jemanden zu etwas überreden. Auch nicht dazu, den prügelnden Ehemann zu verlassen. "Der Entschluss von zu Hause auszuziehen, muss von den Frauen selbst kommen. Wir nehmen nur Frauen auf, die sich selbst bei uns melden.
Nur so können wir sicher sein, dass die Frau den Schritt auch wirklich und endgültig gehen will", so Ponnath. Ziel ist es, die Frauen selbstständig und unabhängig zu machen, ihnen Kompetenzen zu vermitteln und - und das ist für Christine Ponnath der entscheidende Punkt - sie aus der Opferrolle zu holen. "Die Frauen müssen merken: Es nützt mir nichts, wenn ich mich verstecke!" Dennoch bleibt der Standort des Frauenhauses geheim.
Das Thema wird oft unter den Tisch gekehrt, doch leider kommt häusliche Gewalt auch bei uns in Deutschland häufig vor. Wie häufig, das kann man nur erahnen, denn naturgemäß finden die meisten Fälle häuslicher Gewalt hinter verschlossenen Türen statt. Auch die Polizei tut sich schwer mit Schätzungen. Das Thema wird ernster genommen, findet Kerstin Trier-Biedefeld von der Kulmbacher Polizei.
Aber dass es weniger Fälle geworden wären, das kann sie nicht bestätigen.
Oft merkt es keiner
"Gewalt in Familien - meistens gegen Frauen und Kinder - ist leider kein Randphänomen, sondern findet mitten unter uns statt." Das betont die erfahrene Kontaktbeamtin für den Bereich häusliche Gewalt. "Wenn Menschen innerhalb der Familie Opfer von Gewalt werden, bekommt das oft keiner mit. Vor allem auch deshalb, weil es nicht den klassischen Schläger gibt, sondern Gewalt in Familien in allen sozialen Schichten und Konstellationen vorkommt."Die Polizei ermittelt erst, wenn es konkrete Anhaltspunkte gibt. Der bloße Verdacht reicht nicht aus. Heute wie vor 30 Jahren hat das Frauenhaus eine entscheidende Rolle und ist ein wichtiger Partner der Polizei. Die Polizei als Strafverfolgungsbehörde ermittelt zwar, kann die Frauen aber eigentlich nicht beraten. Das Frauenhaus übernimmt diese Aufgabe und noch viel mehr.
Bis zu zehn Frauen haben im Bayreuther Frauenhaus mit ihren Kindern Platz. Sie leben zusammen wie in einer Wohngemeinschaft. Sie sind unabhängig, aber können sich bei Bedarf auch aushelfen und austauschen. Die Zahl der Plätze ist durch einen bayernweiten Schlüssel festgelegt. Er gilt für Bayreuth und Kulmbach zusammen. Die Plätze werden durch staatliche und kommunale Mittel finanziert und von der Caritas als Träger zur Verfügung gestellt. Drei Sozialpädagoginnen, zwei Erzieherinnen und dreißig Ehrenamtliche sind eingesetzt.
Die Arbeit im Frauenhaus hat sich in den letzten Jahrzehnten sehr verändert, gibt Christine Ponnath zu. Zu Beginn waren die Frauen in der Regel nur wenige Wochen im Frauenhaus. Mittlerweile ist es keine Seltenheit, dass die Klientinnen mehrere Monate oder ein ganzes Jahr bleiben. Das Frauenhaus nimmt die Frauen auf und hilft ihnen ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen. Die Mitarbeiter helfen bei der Wohnungssuche, bei der Einrichtung, bei der Suche nach einem Kindergartenplatz, beim Gang zu Ämtern und immer häufiger auch beim Asylantrag und bei der Eingliederung in unsere Gesellschaft.
Denn mit den vielen Asylbewerbern, die ins Land gekommen sind, ist ein neuer Kundenstamm hinzugekommen. Wie überall werden auch hier Frauen zu Opfern. Mit diesen neuen Frauen kommen neue Herausforderungen. Sprachliche Hürden, aber auch kulturelle. "Frauen aus Syrien und Afghanistan zum Beispiel haben ein völlig anderes Rollenverständnis und auch einen anderen Erziehungsstil als wir hier. Es gilt also auch zu vermitteln, was wir unter fürsorglicher Erziehung verstehen."
Denn auch das steht im Fokus für das Frauenhaus, wenn auch nicht primär: Das Wohl der Kinder. Auch dazu gibt es im Frauenhaus klare Regeln: keine Gewalt - egal gegen wen. Bei Verstößen wird auch mal das Jugendamt alarmiert. "Die meisten Frauen wollen in ihrer Erziehung keine Gewalt einsetzen, viele kennen es aber auch nicht anders. Für sie ist das normal." Viel Überzeugungsarbeit für die Frauenhausmitarbeiterinnen, die aber auf Dauer angelegt ist.
Freudige Wiedersehen
Nicht selten hat Christine Ponnath es erlebt, dass Frauen im Frauenhaus landen, die bereits als Kind mit ihren eigenen Müttern schon einmal hier waren. Wenn sie auf die letzten Jahrzehnte zurückblickt, überwiegen dennoch die positiven Erinnerungen. "Ich treffe oft Frauen in der Stadt, die mal bei uns ihren Zufluchtsort hatten, die allermeisten führen heute ein selbstbestimmtes, glückliches und freies Leben."Was sich Christine Ponnath für die Zukunft wünscht? "Spezialisierte Einrichtungen. Es gibt so viele unterschiedliche Frauen. Manche sind stark bedroht, manche nur leicht, bei manchen stellt sich heraus, dass sie psychisch krank sind, manche sind drogenabhängig oder trinken und viele brauchen eine umfassende Einführung in unsere Gesellschaft. In Spezialeinrichtungen könnte vielen noch besser geholfen werden. Dass man sich mehr spezialisieren könnte: Das wäre mein Wunsch."