"Heimat ist das schönste deutsche Wort" für den Forchheimer Wilhelm Kleemann
Autor: Pauline Lindner
Forchheim, Dienstag, 17. März 2015
von unserer Mitarbeiterin Pauline Lindner Forchheim — Der Lebensweg des Wilhelm Kleemann, Sohn eines Forchheimer Synagogenlehrers, war von 1869 bis in sein 63. Lebensjahr ein stete...
von unserer Mitarbeiterin Pauline Lindner
Forchheim — Der Lebensweg des Wilhelm Kleemann, Sohn eines Forchheimer Synagogenlehrers, war von 1869 bis in sein 63. Lebensjahr ein steter Aufstieg - bis in die Vorstandsriege der Dresdner Bank. Inge Geiler stellte den großen Wohltäter der Stadt in ihrem Referat zur "Woche der Brüderlichkeit" im Rathaussaal vor.
Die Frankfurterin hat vor etwa 20 Jahren in ihrer Wohnung hinter einer Wandverkleidung Briefe von ihm gefunden, die er aus Meran und New York an seine Schwester Elise Grünbaum gesandt hat. Dieser Fund war für sie der Anstoß, sich mit dem Schicksal der Wiesbadener Familie Grünbaum zu befassen, die in den 40er Jahren in diesem Haus, der damaligen Pension Nussbaum, einquartiert war. Das Ergebnis ihrer Forschungen hat sie in dem Buch "Wie ein Schatten sind unsere Tage" veröffentlicht.
1929, so berichtete Geiler, wurde der 60.
Geburtstag des anerkannten und beliebten Bankfachmanns in der Berliner Presse ausgiebig als bedeutende Persönlichkeit der Stadt und des Wirtschaftslebens gewürdigt. Doch dann wurde im Januar 1933 Adolf Hitler Reichskanzler. In politischer Voraussicht schied Kleemann noch im März aus seinem Vorstandsamt und bereitete seine Emigration in die Schweiz vor.
Ein vorübergehendes Zuhause
Diesen ersten großen Bruch in der Lebenslinie griff die Pianistin Marina Palmer mit einem klassischen Intermezzo auf. Noch drei Mal markierten die Musikstücke Bruchstellen in Kleemanns Lebensweg. Das Ehepaar Kleemann fand ein vorübergehendes Zuhause in Meran, wo sie früher bereits Ferien verbrachten, während die Tochter mit Familie bereits in Amsterdam lebte. In den Folgejahren reiste Kleemann zum ersten Mal nach New York.
Aus dem Jahr 1937 datiert der erste erhaltene Brief von ihm an seine Schwester, der er dringend zu einer Reise rät, wohl nicht wissend, dass ab 1936 deutsche Juden keine Auslandsreisepässe mehr erhalten. Im Januar 1940 finden er und seine Frau eine Schiffspassage nach New York.
Aufbewahrt hat seine neun Jahre ältere Schwester seinen Brief vom 4. März. "Wir kommen uns wie Provinzler vor, obwohl wir die Hauptstädte Europas kennen", schreibt Kleemann und sorgt sich, ob seine Briefe überhaupt ankommen.
Eine unbegreifliche Geste
Das Ehepaar Grünbaum muss Anfang 1941 aus seiner Wohnung und in ein überfülltes Altersheim ziehen, wenig später dann in die Pension Nussbaum. Vom November 1941 datiert der letzte der elf Briefe. Am 18. August 1942 werden die Grünbaums nach Theresienstadt deportiert und sterben dort bald hintereinander.
"Nur in wenigen Zeilen wird die Resignation spürbar", beurteilt Geiler den Briefwechsel. Kleemann hat neben Schwester und Schwager noch mehrere nahe Verwandte verloren. "Nach so viel Leid ist die große Geste unbegreiflich, mit der Kleemann schon 1946 Forchheim bedachte." Er stellte der Pfarrei St. Martin einen größeren Betrag für soziale Zwecke zur Verfügung und unterstützte zwei Sportvereine.
Das war keineswegs die erste Zuwendung für Menschen in seiner Geburtsstadt. Bereits 1918 ließ er im Gedenken an seine Eltern die Michael-und-Amalie-Kleemann-Stiftung errichten, die er mit 10 000 Goldmark dotierte. Das Geld wurde zweckgemäß für die Hauskrankenpflege Bedürftiger verwendet. 1925 gab Kleemann 10 000 Rentenmark und später weitere Geldbeträge in das Stiftungsvermögen. 1941 wurden durch die Nazis die Namen der Eltern entfernt.
Die Stiftung existierte bis zu ihrem Untergang infolge der Währungsreform 1948.
Ausführlich schilderte Geiler die Ereignisse 1966, als der damalige Oberbürgermeister Karlheinz Ritter von Traitteur den 96-jährigen Kleemann einlud, den ihm zugedachten, neu geschaffenen Ehrenring der Stadt Forchheim in Empfang zu nehmen. Kleemann antwortete sinngemäß, dass er nie nach Deutschland habe zurückkehren wollen, weil ihn das Land so sehr gekränkt habe. "Aber der Wunsch der Forchheimer hat mich dermaßen erfreut, dass ich zugestimmt habe." In seiner Laudatio sprach von Traitteur von der "Fähigkeit zur Liebe und Vergebung, die menschliche Größe ausmachen".
Ein überwältigendes Erlebnis
In seinem Dankschreiben bei der Rückkehr nach New York zeigte sich Kleemann "überwältigt" und dankte, dass er trotz seiner Jahre nochmals in seine Heimat gekommen ist. Und: "Heimat ist das schönste deutsche Wort. Es wird besonders geschätzt von denen, die sie verlassen mussten."