Göllersaal ist ein Stück Zeiler Geschichte
Autor: Ludwig Leisentritt
Zeil am Main, Donnerstag, 02. Juli 2020
Vor hundert Jahren bekam die Stadt am Main eine neue Mitte für Veranstaltungen. Es wurde getanzt und gefeiert - und viel geredet.
Am 1. Mai 1920 nahm die Gastwirtsfamilie Göller in Zeil ihre neuen Gasträume im Erdgeschoss sowie einen neuen Saal im Obergeschoss in Betrieb. Für diesen aus Sandsteinen errichteten Neubau musste der ehemalige fürstbischöfliche Kastenhof weichen. In diesem östlichen Fachwerkgebäude waren einstmals die Naturalabgaben eingelagert worden, welche die abgabenpflichtigen Bürger des Amtes Zeil im Rahmen des Zehnten entrichten mussten. 1920, jetzt vor 100 Jahren, begann damit die wechselvolle Geschichte dieses weit über Zeil hinaus bekannten Tanz- und Veranstaltungssaals. Der Saal ist auch ein Stück Zeiler Geschichte.
1908 hatte die aus Drosendorf stammende Familie Josef und Margarethe Göller das historische Anwesen von dem Vorbesitzer Georg Weinig erworben. Bis zum Ende des Ersten Weltkrieges bewirtete sie die Gäste im heutigen Wohnhaus.
Mit den neuen Gasträumen und dem Saal eröffneten sich ab 1920 neue Möglichkeiten. Spitzenpolitiker der zwei großen Parteien gaben sich im Laufe der Jahre dort ein Stelldichein. Die Liste prominenter Politiker, die im Göllersaal aufgetreten sind, ist lang: Schon 1928 sprach zwei Stunden lang der ehemalige sozialdemokratische Reichskanzler Hermann Müller. Nach dem Krieg traten Helmut Schmidt, Herbert Wehner, Hans-Jochen Vogel, Willy Brandt und Johannes Rau (alle SPD) auf. Für die CSU waren es Franz-Josef Strauß, der wohl die längste Rede in diesem Saal hielt, sowie Hans Ehard, Peter Lorenz, Fritz Zimmermann, Barbara Stamm und Markus Söder. Der Göllersaal hat erheblichen Anteil daran, dass Zeil nach dem Zweiten Weltkrieg nicht nur zum politischen, sondern auch zum gesellschaftlichen Mittelpunkt des heutigen Landkreises Haßberge wurde.
Nach der Einweihung des Saals 1920 meinten viele Zeiler: "Der Göller bringt diesen Saal niemals voll." Waren doch die übrigen Säle der Zeiler Gastronomen weitaus kleiner.
In den hundert Jahren fanden unzählige Konzert-, Theater- Variete- und Operettenveranstaltungen statt. Ferner Passionsfestspiele, Weihnachtsfeiern, Büttensitzungen, Betriebsausflüge, Filmvorführungen sowie Versammlungen aller Art. Sogar eine Geflügel- und Kaninchenausstellung ging 1926 dort über die Bühne.
1924 lud der Zeiler Caritasverein den legendären Violinvirtuosen Jules Siber ein, um dem "breiten Volk edle Kunst zugänglich zu machen". In der Presse wurde diese Veranstaltung als "auserlesener und edler Genuss" und als Volksbildungsabend bezeichnet. Doch so richtig konzerttauglich war die Lokalität wohl nicht. Das Gläsergeklirr und Biermarkengeklimper an der Schenke störten die konzertanten Stimmen und Töne.
Eine neue Zeit kehrte ein, als 1933 eine Abordnung der Haßfurter NSDAP mit ihrer "Blutfahne" in den Saal einmarschierte, die stehend gegrüßt werden musste. Die "Blutfahne" war mit jenem Banner berührt worden, das die Nazis 1923 in München bei ihrem gescheiterten blutigen Putsch vorantrugen. Ein Jahr später sind die Zeiler aufgefordert worden, in der gleichen Lokalität an der Übertragung einer "Führerrede" teilzunehmen.