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Gericht stochert im Nebel


Autor: Stephan-Herbert Fuchs

Kulmbach, Dienstag, 21. Juni 2016

Eine 52-jährige Frau soll als Betreuerin das Konto ihres Bruders abgeräumt haben. Die Verhandlung wurde wegen notwendiger Nachermittlungen ausgesetzt.


Stephan Herbert Fuchs

Der Vorwurf wog schwer: Untreue in 92 Fällen. Eine 52-Jährige aus dem Landkreis, die von 2010 bis 2014 als Betreuerin ihres Bruders fungierte, soll dessen Konto um über 12 000 Euro erleichtert haben. So einfach war die Sache aber dann doch nicht. Die Vorsitzende Richterin Nicole Allstadt musste nach eineinhalb Stunden Verhandlung feststellen, dass ein Teil der Überweisungen tatsächlich nur vom Tagesgeld- auf das Girokonto des Bruders geflossen waren, also gar keine Untreue vorliegt. Andere Überweisungen hat die Angeklagte tatsächlich für den Bruder getätigt, sie fallen also auch nicht unter den Vorwurf der Untreue. Nun will das Gericht die noch offenen Überweisungen im Zuge von polizeilichen Nachermittlungen genau prüfen lassen. Dazu wurde die Hauptverhandlung ausgesetzt.


Viele offene Fragen

92 Einzelfälle listete Staatsanwalt Matthias Eichelsdörfer auf: Datum, Betrag, Empfänger. Trotzdem sollten Fragen offen bleiben, denn nicht immer war klar, wer hinter dem Empfänger steckt. Die Angeklagte konnte sich daran nicht erinnern, der Geschädigte sagte, dass ihn die Zahlung definitiv nicht betreffe. Meistens jedenfalls, denn nach einigem Nachforschen stellte sich beispielsweise heraus, dass eine bis dato ungeklärte regelmäßige Zahlung die Wertmarke seiner Busfahrkarte betraf.
Warum allerdings ihre Hausrate zweimal bei den Abbuchungen vom Konto des Bruders auftauchte, dafür hatte die Frau keine Erklärung, ebenso für 150 Euro, die an den Gerichtsvollzieher gingen. Die Kfz-Steuer für sich und ihren Sohn will sie versehentlich vom Konto des Bruders abgebucht haben. Ansonsten zeigte sich die Frau völlig ahnungslos. 400 Euro an die Awo Kulmbach: "Dazu kann ich nichts sagen." Gelder an eine Rechtsanwaltskanzlei: "Ich weiß nicht, was das betrifft." Über 100 Euro an ein Internet-Kaufhaus: Kopfschütteln. "Wir stochern hier im Nebel", sagte Richterin Allstadt.


Familie ist verkracht

Schnell wurde allerdings auch klar, dass hinter der Anzeige ein handfester Familienkrach steckt. Die Beziehung zum Bruder und zur Mutter sei schon seit Jahren total kaputt, sagte die Angeklagte. Üble Beleidigungen müsse sie sich ständig anhören. Auch im Gerichtssaal kochten die Emotionen kurz hoch.
Ihn beträfen die Zahlungen definitiv nicht, sagte der Bruder zunächst. Angebliche Stallkosten für ein Pferd, Apothekenzahlungen, Fußpflege, Hausraten, Internetkäufe: damit habe er nichts zu tun. Auch im Elektronikmarkt will er nichts gekauft haben, was die Angeklagte zuvor noch ganz anders geschildert hatte. Trotzdem stellte sich auch schnell heraus, dass ein Teil der angeklagten Zahlungen ganz offensichtlich vom Tagesgeldkonto des Bruders auf dessen Girokonten landeten, dass seine Busfahrkarte unter die Zahlungen fiel und eine Zusatzversicherung nur ihn betraf.


Betreuung aufgehoben

Um des lieben Friedens willen hatte sich die Angeklagte sogar bereiterklärt, die Summe ohne Anerkennung einer Rechtspflicht zurückzubezahlen. 5000 Euro waren dabei schon zusammengekommen. Die Betreuung ist seit 2014 ohnehin schon aufgehoben.