Druckartikel: "Für mich überwiegen die Vorteile"

"Für mich überwiegen die Vorteile"


Autor: Klaus Gagel

Michelau, Dienstag, 15. Dezember 2020

Dr. Roland May spricht sich klar für eine Impfung gegen das Covid-19-Virus aus. Wie seine Argumente lauten.
Biochemische Kriegsführung: Die "Krone" ist gleichzeitig die Achillesferse des Coronavirus. Bei den Spikes (weißer Pfeil), die die "Krone" (rot) bilden, handelt es sich um Proteine (Eiweiße), mit denen das Virus an die menschliche Wirtszelle andockt. Man impft nun Menschen mit einem RNA-Stück aus der Erbsubstanz des Virus. Diese RNA bringt die menschliche Zelle dazu, Spike-Proteine in großen Mengen herzustellen. Unser Immunsystem erkennt, dass es sich dabei um fremde Eiweiße handelt. Gegen die Spike-Proteine werden Antikörper zur Abwehr gebildet. Kommt es nachfolgend zu einer Ansteckung mit Coronaviren, dann ist die Immunabwehr mit ihren Waffen, den passenden Antikörpern, darauf vorbereitet. Fotos: Klaus Gagel


Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder ruft den Katastrophenfall aus: "Die Lage ist sehr ernst!" Die Große Wissenschaftsakademie der Leopoldina schlägt Alarm. Alle vier Minuten stirbt in Deutschland ein Mensch an Corona. Allein letzte Woche waren es 523 Tote in Bayern. Der Landkreis Lichtenfels hat ein Impfzentrum aufgebaut.

In der Tat erscheinen die möglichen Impfungen wie das Licht am Ende des Tunnels. Nachdem sich grundsätzlich jeder Erwachsene gegen Covid-19 impfen lassen kann, drängen sich viele Fragen auf. Definitiv festgelegt ist, dass es in Deutschland keine Pflicht gibt sich impfen zu lassen. Im Gegensatz zu vielen anderen Impfungen betritt man aber mit einer Impfung gegen das Coronavirus Neuland. Schließlich wurde der Impfstoff in erstaunlich kurzer Zeit entwickelt. Wie sicher ist also diese Impfung? Welche kurzzeitigen Nebenwirkungen oder langwierigen Folgen sind zu erwarten? Soll man sich überhaupt impfen lassen oder vorsichtshalber lieber noch abwarten?

Dazu kommt die Information, dass der verwendete Impfstoff Teile der Erbinformation des Virus in Form der Ribonukleinsäure (RNA) enthält. Somit gelangt hier fremdes Erbgut in menschliche Zellen. Wird dadurch das menschliche Erbgut verändert im Sinn einer Genmanipulation mit ungeahnten Folgen?

Verschwörungstheoretiker

All dies ruft zahlreiche Verschwörungstheoretiker auf den Plan, die mit ihren unzensierten Informationen im Internet für zusätzliche Verwirrung sorgen. Was nicht verwunderlich ist, denn die Regulationsvorgänge im Innern einer menschlichen Zelle sind ziemlich komplex. Das gilt auch für den Angriff eines Virus und erst recht für die nachfolgende Immunreaktion.

Der Michelauer Arzt Dr. Roland May ist 76 Jahre alt und gehört deshalb nicht nur wegen seines Alters, sondern auch aufgrund einer ernsten Vorerkrankung zur Hauptrisikogruppe. Als persönlich Betroffenen haben wir ihm deshalb folgende Fragen gestellt:

Herr Dr. May, die Gretchenfrage vorweg: Werden Sie sich gegen Covid-19 impfen lassen?

Dr. May: Ich werde mich auf jeden Fall impfen lassen, sobald das für mich möglich ist aufgrund meines Alters und aufgrund meiner Vorerkrankungen. Ich habe keine Sonderwünsche, hoffe aber, dass es vielleicht noch in diesem Jahr sein wird.

Was halten Sie von der häufig gehörten Meinung "Ich werde mich impfen lassen, warte aber zunächst noch ab"?

Ich kann diese Haltung verstehen. Diese Menschen sind halt vorsichtig, nicht zuletzt infolge der vielen Falschinformationen. Wer weiß schon Bescheid über DNA und RNA. Kein Wunder, dass viele den Verschwörungstheoretikern anheimfallen. Ich selbst hab mich mit der Impfung intensiv beschäftigt und halte nichts davon abzuwarten. Das muss jedoch jeder für sich selbst entscheiden, aber diese Leute dürfen sich dann nicht wundern, wenn sie sich während dieser Wartezeit anstecken.

Anmerkung des Autors: Man muss auch sehen, dass diese Menschen nicht nur Verantwortung tragen für sich selbst, sondern auch für ihre Mitmenschen. Je länger die Impfungen hinausgeschoben werden, desto länger wird es auch dauern, bis die angestrebte Herdenimmunität erreicht wird.

In Großbritannien ist es gleich am ersten Tag der Impfkampagne zu Zwischenfällen gekommen. Zwei Personen erlitten nach der Impfung allergische Reaktionen. Wie schätzen Sie die Sicherheit des Impfstoffs ein, der ja in erstaunlich kurzer Zeit entwickelt wurde?

Man muss dazu sagen, dass es sich um Menschen handelte, die wussten, dass sie für allergische Reaktionen anfällig sind. Weshalb sonst hatten die von vorneherein ihre Notfallspritzen im Gepäck? In den Zulassungsstudien spielen allergische Reaktionen allerdings keine auffällige Rolle. Wenn jemand diese Spritzen ständig mit sich führt, dann handelt es sich allem Anschein nach um einen Schwerallergiker. Grundsätzlich sollten Menschen, die wissen, dass sie Allergiker sind, sehr vorsichtig sein und dies vor einer Impfung immer mit einem Arzt abklären.

Bei der Impfung werden Teile des Viruserbgutes (RNA) in menschliche Zellen eingeschleust. Besteht da nicht die Gefahr, dass dadurch das menschliche Erbgut dauerhaft verändert und geschädigt wird?

Ich hab diese Studie gelesen und weiß, dass dieser theoretisch mögliche Effekt genauestens untersucht wurde. Alle Wissenschaftler, die ihren Namen dafür hergeben, sagen ganz klar, es gibt dieses Risiko nicht. Die beiden Moleküle unterscheiden sich massiv in ihrem Aufbau. Bei der DNA handelt es sich um einen Doppelstrang, bei der RNA um einen Einzelstrang. Auch hinsichtlich der Erkennungsbuchstaben für die genetische Information (die organischen Basen) gibt es einen wichtigen Unterschied. Auch enthält die RNA, wie der Name sagt Ribose (R) als Zucker, die DNA besitzt als Baustein die Desoxyribose (D). Während die DNA ein sehr langlebiges Molekül ist, wird die RNA nach einiger Zeit wieder abgebaut. Die Zelle kann also die beiden Erbmoleküle sehr exakt unterscheiden.

Was bewirkt die eingeschleuste RNA in den menschlichen Zellen und wie kommt es zu der gewünschten Immunisierung?

Der gewählte Weg, um über die RNA eine Immunisierung zu erreichen, ist wesentlich eleganter gegenüber der früheren Methode, wo man abgeschwächte Viren oder Virusbestandteile geimpft hat. Im Grund geht es immer darum, eine Antigen-Antiköperreaktion zu erreichen. Das heißt, die Antikörper unseres Immunsystems sollen körperfremde Bestandteile erkennen und angreifen. Hierbei geht es um die Eiweißmoleküle auf der Virusoberfläche. Auf der Oberfläche aller Coronaviren sind große Eiweißmoleküle eingelagert, die wie die Spitzen einer Krone (Corona) nach außen ragen. Die eingeschleuste RNA veranlasst die menschlichen Zellen, diese Eiweißmoleküle zu bilden, aber nicht das komplette Virus. Die fremden Eiweiße werden vom Immunsystem erkannt und durch passende Antikörper bekämpft. Kommt der Körper anschließen mit dem echten Virus in Kontakt, steht die Immunabwehr bereits Gewehr bei Fuß. Das Virus kann sich deshalb in Körperzellen nicht mehr massenhaft vermehren. Es besteht ein Immunschutz durch körpereigene Antikörper.

Was schätzen Sie, wie lange wird es dauern, bis die angestrebte "Herdenimmunität" in Deutschland erreicht ist und wir zur gewünschten "Normalität" zurückkehren können?

Das hängt von vielen Faktoren ab. Wie impfwillig sind die Menschen, wie gut halten sie sich an die AHA-Regeln (Abstand-Hygiene-Alltagsmaske). Ich gehe mal von einem bis eineinhalb Jahren aus. Allerdings wissen wir auch nicht, wie hoch tatsächlich die aktuelle Dunkelziffer ist, das heißt, wie viele Menschen infiziert sind, ohne es zu wissen.

Abschließende Frage: Wie fällt für Sie die persönliche Risikobewertung hinsichtlich der Impfung gegen Covid-19 aus?

Sieht man einmal von den Menschen ab, die an schweren Allergien leiden oder von stillenden Frauen, so kennen wir zumindest bisher keine Gefährdung durch schwere Nebenwirkungen. Leider gibt es aber auch hier Pseudowissenschaftler, die Zweifel säen. Für mich überwiegen die Vorteile einer Impfung mit der damit zu erreichenden Immunität ganz klar gegenüber möglichen Risiken, die man wie bei jedem medizinischen Eingriff allerdings nie ganz ausschließen kann.

Die Fragen stellte Klaus Gagel.