Frühling im Spätsommer
Autor: Bernhard Panzer
Herzogenaurach, Dienstag, 22. Sept. 2020
Wenn Apfelbäume saftige Früchte tragen und zugleich ein zweites Mal blühen.
Bernhard Panzer Schauplatz: Die Straße nach Dondörflein, neben dem Radweg stehen mehrere Apfelbäume. Hannes und Felix machen große Augen, das haben die beiden Jungs noch nie gesehen. Da hängen reife Früchte an den Ästen, und gleichzeitig blüht der Apfelbaum in vollster Pracht.
Ortswechsel: Münchaurach, ein Privatgarten. Auch Klaus Horbaschek traut seinen Augen kaum, als er durch seinen Obstgarten spaziert. Auch hier das gleiche Bild - saftige, große, rote Äpfel neben weißen leuchtenden Blüten. Daneben steht auch noch eine junge Lärche, mit vielen jungen Trieben. "Normalerweise werfen die Bäume jetzt ihre Nadeln ab", sagt Horbaschek. Der junge Baum in seinem Garten hält davon nichts - er bildet junge Nadeln im schönsten Hellgrün. Die Natur spielt verrückt. Eine Szenerie aus den letzten warmen Spätsommertagen.
Was für die Kinder (acht und elf Jahre) wie ein Ausflug in die Märchenwelt erscheint, erfüllt den Gartenbesitzer durchaus mit Skepsis. Ist das der viel zitierte Klimawandel?
Frühlingsgefühle
In der Tat hat dieses Phänomen mit dem Klima zu tun. Ein Indiz für Klimaveränderungen muss es aber nicht sein. "Das hat's früher auch schon geben", weiß Fritz Bayer zu berichten, der Leiter der Herzogenauracher Stadtgärtnerei. Er hat auch eine Erklärung für diese Erscheinung.
Bayer berichtet, dass die Obstbäume schon jetzt im Herbst Triebe aufbauen, die dann für gewöhnlich im Frühjahr schießen. Aber die Vorbereitungen werden schon jetzt getroffen. Und da kommt das Klima respektive Wetter ins Spiel. Wenn's mal lange trocken ist, so wie erneut in diesem Sommer, und dann für ein paar Tage erst kalt, und dann wieder warm - dann wirbelt das den Baum durcheinander.
Bayer vergleicht des besseren Verständnisses wegen die Bäume mit Menschen. "Der Baum denkt, es ist schon Frühjahr", erzählt er. Da spielt die Trockenheit eine große Rolle, die dann in den folgenden warmen Tagen von der Nachtfeuchte abgelöst wurde. So kommt es, dass die Apfelbäume mitten im Spätsommer Frühlingsgefühle bekommen. Im Frühherbst, da die Nächte kälter werden, ist's dann wieder vorbei mit der Pracht. Solche Phänomene geschehen immer wieder mal, berichtet der Gärtnermeister. Generell den Klimawandel als Ursache herzunehmen, wäre etwas einfach.
Trockenes Jahr
Das bestätigt auch Walter Welß, Pflanzenexperte am Botanischen Garten in Erlangen. Man sollte nicht immer alles gleich dem Klimawandel in die Schuhe schieben, sagt er. "Ich bin da eher skeptisch". Und erinnert an ein, in einer Chronik dokumentiertes trockenes Ausnahmejahr im 18. Jahrhundert. Da soll es den Überlieferungen zufolge von Mai bis Oktober nicht geregnet haben. "Extreme kommen immer mal vor", sagt Welß.
Wenn nun ein Obstbaum Früchte trägt und gleichzeitig nochmal blüht, dann könnte das mit der "untypischen Saftversorgung" zusammen hängen. Wenn der Sommer erst trocken, dann feucht und warm ist, dann kommt es laut Welß es schon vor, dass in den Pflanzen frischer Saft strömt. Und dann denkt sich der Baum: "Es ist Frühling. Ich muss blühen."
Festlegen will sich der Experte da nicht, aber: "Mit jahrzehntelanger Erfahrung weiß man, wie die Pflanzen ticken."
Ideal seien diese vorzeitigen Frühlingsgefühle für den Baum nicht, schon eher eine Sackgasse. Dennoch müsse man keine Angst haben, dass der Baum im Frühling nicht nochmal blüht, ergänzt Stadtgärtner Bayer. Denn "ein Obstbaum hat so viele Blüten."
Das wird Klaus Horbaschek beruhigen. Dann kann er auch im kommenden Sommer Äpfel aus seinem eigenen Garten ernten. Und die beiden Buben Hannes und Felix werden auf der Radtour nach Dondörflein nachschauen, wie es denn im nächsten Jahr ist mit der Apfelblüte im Spätsommer.