"Frauenthemen sind mitten in der Gesellschaft angekommen"
Autor: Werner Reißaus
Kulmbach, Montag, 09. März 2020
Heike Söllner ist in der Januarsitzung des Kreisausschusses erneut zur Gleichstellungsbeauftragten des Landkreises Kulmbach bestellt worden (wir berichteten). Seit 15 Jahren ist sie bereits mit dieser...
Heike Söllner ist in der Januarsitzung des Kreisausschusses erneut zur Gleichstellungsbeauftragten des Landkreises Kulmbach bestellt worden (wir berichteten). Seit 15 Jahren ist sie bereits mit dieser Vertrauensstellung betraut. Grund genug, ihr ein paar Fragen zu stellen. Wie sieht Ihre Aufgabenstellung als Gleichstellungsbeauftragte aus? Heike Söllner: Die Aufgabe ist zweitgeteilt. Da geht es einerseits um die Gleichstellungsarbeit innerhalb des Landratsamts und hier insbesondere um eine unterstützende und beratende Funktion bei der Umsetzung der Ziele des Bayerischen Gleichstellungsgesetzes, die für alle Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes gelten. Darüber hinaus bin ich ausdrücklich auch als kommunale Beauftragte bestellt mit dem Auftrag, die Gleichstellung von Frauen und Männern in Familie, Beruf und Gesellschaft mit Wirkung nach außen für den gesamten Landkreis Kulmbach zu fördern. In der Praxis sind das verschiedenste Initiativen oder Projekte, die sich vor allem auch am konkreten Bedarf orientieren. Welches Fazit können Sie nach 15 Jahren als Gleichstellungsbeauftragte ziehen? Wenn ich zurückblicke, hat sich durchaus vieles positiv entwickelt. Wurden gleichstellungspolitische Themen oder Frauenthemen früher noch belächelt oder als Gedöns abgetan, so sind sie heute mitten in der Gesellschaft angekommen. Persönlich bin ich überzeugt davon, dass die Gleichstellung der Geschlechter bei der Lösung zahlreicher großer Zukunftsfragen eine ganz wesentliche Rolle spielt. Aber trotz unbestreitbarer Fortschritte habe ich in letzter Zeit zunehmend das Gefühl, dass wir auf der Stelle treten. Auch rund 70 Jahre nach Inkrafttreten des Grundgesetzes sind wir in vielen Bereichen noch zu weit entfernt von echter Gleichstellung. Die Fortschritte und Veränderungen stellen sich zudem oft nur langsam ein. An welche Fortschritte und Veränderungen denken Sie da? Beispielsweise an die Vereinbarkeit von Familie, Beruf und Pflege, an die Lohnlücke zwischen Frauen und Männern, an ein höheres Altersarmutsrisiko für Frauen, an Frauen, die auf dem Weg in die Führungsetagen ihrer Unternehmen oder auch im öffentlichen Dienst immer noch an eine unsichtbare gläserne Decke stoßen, an Gewalt gegen Frauen, an die ungleiche Verteilung des Vermögens auf der Welt und ganz aktuell natürlich auch an den zu geringen Frauenanteil in der Kommunalpolitik. Apropos Kommunalpolitik: Sie kandidieren in ihrer Heimatgemeinde Grafengehaig für den Gemeinderat. Sie wollen als Gleichstellungsbeauftragte mit gutem Beispiel vorangehen? In erster Linie möchte ich die Entwicklung meiner Heimatgemeinde mitgestalten und etwas bewegen. Das ist sicherlich für die allermeisten, die sich kommunalpolitisch oder im Ehrenamt engagieren, die Hauptmotivation. Als Gleichstellungsbeauftragte sehe ich natürlich auch die Notwendigkeit, dass die Sichtweisen und Erfahrungen von Frauen und Männer gleichermaßen in die Entscheidungen einfließen, denn von ihnen sind die Menschen ja am unmittelbarsten betroffen. Was braucht es, bis irgendwann von einer Verwirklichung der Gleichstellung gesprochen werden kann? Uns allen muss bewusst sein, dass es bei gesellschaftlichen Veränderungen immer um äußerst komplexe Veränderungsprozesse geht, aber ich bin sicher, dass wir als Gesellschaft durchaus in der Lage sind, diese gemeinsam zu gestalten. Gibt es aktuelle Probleme in der Gleichstellungsarbeit? Es erfüllt mich durchaus mit Sorge, dass Strömungen vorhanden sind, die Gleichstellungspolitik und die Geschlechterforschung in Frage zu stellen. Parallel dazu wird dann gerne noch das Vorhandensein struktureller Benachteiligungen von Frauen in Abrede gestellt. Solchen Tendenzen gilt es gemeinsam entschlossen entgegenzutreten. Ihnen wurden zwei Stellvertreterinnen an die Seite gestellt... Ja, da ist zum einen Melanie Dippold, die als Jugendpflegerin tätig ist und schon einige Jahre meine Stellvertreterin ist. Hinzu kommt mit Annekatrin Bütterich von der Gesundheitsregion plus eine zweite Kollegin, die sich für diese Aufgabe zur Verfügung gestellt hat. Gemeinsam möchten wir die nächsten drei Jahre auch dazu nutzen, die Schnittmengen zwischen den Aufgabenbereichen noch stärker als bisher zu betonen und für die Querschnittsaufgabe Gleichstellung nutzbar zu machen. Hier gibt es jede Menge Ansatzpunkte - und erste Ideen sind auch schon umgesetzt worden. Werfen Sie bitte für unsere Leser noch einen kurzen Blick auf anstehende Projekte und geplante Maßnahmen. Ein großer Aktionstag zur Berufsorientierung steht mit dem Girls' beziehungsweise Boys' Day am 26. März schon vor der Tür. Natürlich werde ich auch wieder die Kommunalwahlen aufmerksam begleiten, mit einem geschlechtergerechten Blick auf die Wahllisten und die Ergebnisse. Im Frühjahr und Herbst läuft die Reihe "Frau und Beruf - Frauen auf Erfolgskurs", und Ende September startet das zwölfwöchige Orientierungsseminar "Neuer Start für Frauen". Zielgruppe sind Frauen, die der Familie wegen eine längere Auszeit aus dem Beruf in Kauf genommen haben, sich beruflich neu orientieren wollen oder sich auf ihren Wiedereinstieg in den Beruf bewusst vorbereiten möchten. Auch eine Aktion im Brustkrebsmonat Oktober ist in Vorbereitung. Für das Landratsamt steht hausintern zum Stichtag 30. Juni die Fortschreibung des Gleichstellungskonzepts an. Dieses stellt ein wichtiges Instrument der Personalentwicklung dar, insbesondere was die Förderung der Chancengleichheit von Frauen und Männer die Vereinbarkeit von Familie und Beruf anbelangt. Das Gespräch führte unser Mitarbeiter Werner Reißaus.