Druckartikel: Fränkische Geschichte, die geschrieben werden muss

Fränkische Geschichte, die geschrieben werden muss


Autor: Dr. Carolin Herrmann

Coburg, Montag, 19. März 2018

Carolin Herrmann Ein Schriftsteller erhält einen bedeutenden Preis. Doch in seiner Dankesrede spricht er von dem Werk, das er bisher nicht schreiben konnte,...
Manfred Kern liest heute Abend in der Stadtbücherei. Foto: Jochen Berger


Carolin Herrmann

Ein Schriftsteller erhält einen bedeutenden Preis. Doch in seiner Dankesrede spricht er von dem Werk, das er bisher nicht schreiben konnte, "das mit ihm umgeht", einem Wiedergänger gleich. Es nicht schreiben könnend, bricht sich die Geschichte von der Nachkriegsverheerung in den Seelen der Kinder nun doch seine Bahn.
Der in Coburg lebende Autor Manfred Kern nimmt diesen Rahmen zum Anlass einzutauchen ins grausam zu nennende dörfliche Leben in der Nachkriegszeit. Er tut dies mit großer Intensität. Kern stellt seinen neuen Roman heute Abend in der Stadtbücherei vor (Beginn 19 Uhr).
Kerns Figuren kommen an uns vorbei und bleiben in uns hängen. Oder wir in ihnen. Denn Manfred Kern blickt ohne Umschweife von den äußeren Ereignissen in die Tiefen, in die psychologischen und gesellschaftlichen Hintergründe.
Er tut dies aus einer Haltung der - Barmherzigkeit heraus. Nicht der Nachsicht. Den sadistisch quälenden Herrn Pfarrer, der im Krieg ein Bein verloren hat, schildert er gnadenlos. Man konnte den Schulkindern "ihre zum Hören unbegabten Ohren umdrehen und krebsrot zwicken, ihnen Haarbüschel ausreißen, ihr verstocktes Inneres durch Tränen in Fluss bringen, ihnen weh tun auf mannigfaltige Weise, ihnen schließlich auf die Zehen treten mit dem eigenen Schuh, in dem kein Fuß mehr Gefühl zeigte, beschwert von einem Bein, in dem kein Tropfen Blut mehr floss."


Die Grausamkeit des Dorfes

Dabei lauert sein eigenes knapp überlebtes Grauen "unberechenbar wie ein wildes Tier, das seine Blutspur verfolgt". Die Enge und Beschränktheit des Dorfes in der Nachkriegszeit. Wir folgen der "armen Lehrerin", die gefangen ist in dieser Enge, für die der Dialekt Fesseln der Beschränktheit darstellt. Deshalb will sie den Kindern den Dialekt austreiben.


Bischd du verriggd worre?

Kern kehrt zum Ich-Erzähler zurück, Max, dem Schüler in der Klasse, der vor Qual in die Hose macht und dann flüchtet. Der Autor lässt die Leute in ihrem Dialekt reden. Weit entfernt von jeder Possierlichkeit, hängt die ganze Schwere dieses Lebens in den konzentrierten Sätzen. Wir wechseln unvermittelt die Perspektive, so dass wir in allen und in allem sind. Der ständig heulende, schwache Max rebelliert, leidet noch mehr. "Bischd du verriggd worre, aus derr Schual wegzulaafe?", schreit der Vater, und der Gewaltexzess nimmt in den folgenden Jahren seinen Lauf. Die Mutter ist die Handlangerin, die Magd.
"Es ist damals etwas zerstört worden..., etwas das absterben kann, wie ein Zweig abstirbt an einem Baum." Das Wissen von dem Abgestorbenen aber, das bleibt. Weswegen der jetzt ausgezeichnete Schriftsteller nicht loskommt von dem, was er in jedem Fall noch sagen, reflektieren, hervorholen muss.
Auch wenn sich Manfred Kern recht lange mit der Befindlichkeit des Schriftstellers aufhält, so wie er auch den Hang hat, in der Qual zu verharren, diese oftmals geradezu auskostet, bringt er mit seinem Schreiben einen prägenden Teil nicht allzu vergangener Zeit ins Bewusstsein, der nach wie vor wirkt in vielen von uns: Die Pein der aus blanker Not hart und grausam gewordener ländlicher, fränkischer Lebenswelt.

Manfred Kern: Die Preisrede. Roman. Verlag Königshausen & Neumann Würzburg, 153 Seiten, 14,80 Euro.