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Filmvorführer aus Leidenschaft


Autor: Andreas Oswald

Forchheim, Sonntag, 27. August 2017

Der 71-jährige Karl-Heinz Distler war als junger Mann vom Kino fasziniert. Erst verbrachte er seine Freizeit in den Forchheimer Lichtspielhäusern, dann tauschte er mit 17 den Besuchersessel mit dem Platz im Vorführraum.
Alte Kinoplakate und Filmrollen hat sich Kar-Heinz Distler als Erinnerungen an seine Filmvorführer-Zeiten aufgehoben.  Foto: Andeas Oswald


Andreas Oswald

Pilot zu sein, das ist auch heute noch ein Bubentraum. Tierärztin zu werden, das begeistert viele Mädchen. Doch so sicher man sich als Kind vielleicht seines Traumberufes war, so selten ist man tatsächlich genau das geworden. "Mein sehnlichster Berufswunsch war Filmvorführer zu werden", erzählt der 71-jährige Karl-Heinz Distler - und er hat sich tatsächlich diesen Traum mit 17 Jahren erfüllt, zumindest als Nebenjob.
Auslöser war der Kinoschaukasten, der an seinem Elternhaus in Gräfenberg hing und den er mit Fotos und Plakaten bestückte. "Dadurch genoss ich freien Eintritt und verbrachte meine ganze Freizeit im Kino", erzählt Distler.


Thema Nr. 1: Die Liebe

Anfang der 60er Jahre: "Die Post geht ab" auf der Leinwand. Unter diesem mitreißenden Titel präsentierten beispielsweise die Forchheimer Union Lichtspiele in ihrer Kinowerbung im Fränkischen Tag "eine Urlaubsreise an die Adria". Fettgedruckter Hinweis: "Farbfilm!" Der Streifen verspricht "Humor, Liebe Musik und gute Laune mit Vivi Bach, Adrian Haven, Claus Biederstädt, Heinz Erhardt und vielen anderen".
Im "Apollo" läuft die "Siebenfache Rache". In der blumigen Kinowerbung "ein Abenteuerfilm von seltenem Format - Millionenausstattung, spannend, sensationell!". Und damals - keine Frage - erst "ab 18 Jahren zugelassen".
Das "Capitol" verspricht Spannung ab 12 mit dem Streifen "Sherlock Holmes und das Halsband des Todes". In den Hauprollen Christopher Lee, Senta Berger, Hans Söhnker und Hans Nielsen.
Das "Lu-Li" lockt mit "Boccaccio 70" - "ein großer, farbiger Unterhaltungsfilm voll blitzenden Humors, mit einer Unzahl lustiger und delikater Momente. Als Stars Sophia Loren, Anita Eckberg und Romy Schneider zum Thema Nr.1:Liebe!" .


Kinowelt im Wandel

"Die Freiheit und das Abenteuer auf Celluoid haben mich fasziniert", erinnert sich Karl-Heinz Distler. Mit 17 wird sein sehnlichster Wunsch Wirklichkeit: Er darf vertretungsweise als Filmvorführer arbeiten.
Zu dieser Zeit gibt es noch vier Kinos in Forchheim: Das Gebäude Wallstraße 5, in dem jetzt "C&A" Kindermode verkauft, erinnert mit seiner runden Form noch an das "Lu-Li". Wo jetzt im Zeichen des "Regenbogens" in der Bamberger Straße Kinder spielen, lief 1963 noch "Sherlock Holmes" im Capitol.
Einzig verbliebene alte Namen sind noch "Union" und "Apollo" im Kino-Center" in der Wiesentstraße, das auf eine über 80-jährige Tradition der Familie Dengler baut.
1924 wurde das erste der drei Kinos, das Apollo, eröffnet. 30 Jahre (1954) später folgte das wesentlich größere Union und 1983 wurde das Trio mit dem Domino vollendet.


Filmrisse gehörten dazu

Karl-Heinz Distler erinnert sich noch an seinen ersten Tag im Vorführraum. "Schau zu ", habe ihm sein Chef gesagt, "ich zeig' dir's zwei Mal und dann musst Du's können".
Der junge Aushilfs-Filmvorführer muss mit Lichtbogen-Maschinen arbeiten - und mit voller Konzentration: "Sobald die Filmrolle auf einem Projektor abgelaufen war, musste auf die andere Maschine überblendet werden", erklärt Distler. "Und wenn man nicht aufgepasst hat, war die Leinwand weiß". Ein Monumentalfilm, wie Ben Hur, bestand aus neun Celluloidrollen. Der cineastische Super-Gau war der Filmriss. Die Celluloid-Streifen waren berüchtigt. "Der Hitchcock war ein Festival der Abrisse", erinnert sich Distler mit Grausen. "Im Kinosaal wurde so ein Filmriss begleitet von den Pfiffen und dem Gejohle des Publikums". Die großen "Straßenfeger", wie "Ben Hur", hatten im Lu-Li Premiere. Auch "Angelique", eine Liebesgeschichte aus der Königszeit des 17. Jahrhunderts, die für damalige Zeiten abenteuerlich-erotische Unterhaltung bot, gehörte dazu.


Aktion "Saubere Leinwand"

Als "verrufenes Kino" habe damals das "Apollo" gegolten, erzählt ein alter Freund Distlers. Man habe sich durch das Gässchen beim roten Ross mit hochgeschlagenem Mantelkragen unerkannt ins Kino gestohlen, wenn Skandalfilme wie Ingmar Bergmanns "Das Schweigen" liefen. Aus der tönenden Leinwand wurde im Volksmund die "stöhnende Leinwand" - bis sich 1964 in Schweinfurt die Aktion "Saubere Leinwand" gründete. Distler kann sich noch erinnern: "Damals musste im Schaukasten auf dem Kinoplakat nackte Haut noch mit Papierstreifen überklebt werden".
Für den ehemaligen Filmvorführer allemal "eine spannendere Zeit als die heutige Medienwelt, mit ihrem jederzeit verfügbaren , tabufreien, grenzenlosen Unterhaltungsangebot".