Faszination der Tiere
Autor: Rudolf Görtler
Bamberg, Freitag, 06. Mai 2016
"Aus heiterem Himmel" scheinen die Wesen gefallen zu sein, die in der Mürsbacher Kunstmühle zu sehen sind. Das ist auch der Titel der Schau mit Werken Sigrid Nienstedts.
Rudolf Görtler
Sehr oft wird die Klage laut beim Betrachten moderner Kunst: Das versteht doch keiner! Oder: Das könnte ich auch. Beide Sätze werden in der Mürsbacher Kunstmühle aus Anlass der aktuellen Ausstellung kaum fallen. Denn die Ölgemälde Sigrid Nienstedts sind überaus realistisch gefertigt nach allen Regeln des künstlerischen Handwerks.
Dennoch taugen die etwa 70 Arbeiten unter dem Titel "Aus heiterem Himmel" keine Gebrauchskunst. Die Tiere und Landschaften beeindrucken auf den ersten Blick, auf den zweiten irritieren sie, wirken befremdlich. Tiermalerei ist in der europäischen Kunstgeschichte ein altbekanntes Genre, von den klassischen Niederländern über unzählige Jagd-Darstellungenbis zu Franz Marc, Picasso und darüber hinaus. Sigrid Nien-stedts Tiere stehen ganz für sich, ohne Hintergrund, ohne Kontext. In der digitalen Welt würde man sagen: Sie sind freigestellt.
Der aufgerissene Rachen eines Panthers, offensichtlich kämpfende Wölfe und unheimliche Raben, aber auch springende Wiesel und Hasen sind mehr als zoologische Illustrationen, sie zeigen menschliches Handeln, dessen emotionale Zustände und Befindlichkeiten in Form des Tiers, wie Barbara Leicht in der Vernissage-Rede sagte. In den Tieren Nienstedts manifestiert sich eine vorzivilisatorische Wildheit, die Menschen schon lange nicht mehr gestattet ist, eine Unbegreiflichkeit auch, bei aller Empathie nie zu ergründen.
Scheinbar hat das zweite große Thema der Künstlerin, die 1962 im niedersächsischen Krebeck geboren wurde und nach Jahren der Wanderschaft - z. B. einem Aufenthalt in der Bamberger Villa Concordia - wieder in ihren Geburtsort zurückgekehrt ist, nichts mit dem ersten zu tun. Doch auch in ihrer großformatigen Landschaftsmalerei sucht man Menschen vergeblich.
Bilder vom Hamburger Hafen, von Alleen oder namenlosen Industriestädten sind immer menschenleer - bei Caspar David Friedrich steht oft wenigstens ein Mensch mit dem Rücken zum Betrachter. Weite Horizonte, tiefe Perspektiven, im Unwirklichen verschwindende nächtliche Städte zeichnen ihre Bilder aus. So entsteht eine Kälte, eine Verfremdung, die einen frösteln macht wie bei dem Künstler urbaner Einsamkeit Edward Hopper.
Science-Fiction-Landschaften könnte man sagen, mit schlichten Namen wie "Nebel im Tal", "Bahnhof" oder "Finnland", schwefelgelber Himmel wie am Ende der Zivilisation. Die großen Formate fügen sich gut in die klobige Architektur der Mühle, kleinere füllen Winkel perfekt aus. "Roter Nebel" ist fast so etwas wie eine Endzeitvision, zeigt perfekt, wie die Künstlerin, deren Ausstellungs-Liste mehrere Seiten umfasst, mit Farben Licht, Atmosphäre und Stimmungen wiedergibt.
Sie ist, wie es die Rednerin ausdrückte, eine traditionelle Malerin, die mit gewohnten Bildern Ungewohntes ausdrückt
Die Ausstellung "Aus heiterem Himmel" ist bis 5. Juni jeden Sonn- und Feiertag von 14-17 Uhr und nach telefonischer Anmeldung geöffnet: 09533/8153.