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Extrachance als Sprungbrett


Autor: Klaus Gagel

Michelau, Donnerstag, 07. März 2019

Steve Piechula und Natascha Leuci erzählen, wie ihnen das Angebot der Johann-Puppert-Schule geholfen hat.
Eigenverantwortliches Arbeiten ist für Steve Piechula heute eine Selbstverständlichkeit. Das war, bevor er die eCn-Klasse besuchte, nicht immer der Fall. Heute gehört er zu den Mitarbeitern der Baufirma Kugler aus Lichtenfels. Im Bild bespricht er mit dem Bauleiter Florian Kugler die anstehende Wohnungsbaumaßnahme.  Fotos: Klaus Gagel


"Ich fand's richtig gut", lautet das Fazit von Steve Piechula. Er hat an der Johann-Puppert-Schule in Michelau am eCn-Projekt teilgenommen. eCn steht für extra Chance nutzen. Der heute 21-Jährige hat die Extrachance genutzt. Inzwischen hat er bei der Firma Kugler seine Gesellenprüfung für Maurer erfolgreich abgelegt und ist überzeugt, dass er für sich den richtigen Beruf gefunden hat.

2015 besuchte Steve Piechula die eCn-Klasse an der Johann-Puppert-Schule. Für ihn war es bereits das elfte Schuljahr. Er hatte zuvor die Versetzung in die 9. Klasse in der normalen Hauptschule nicht bekommen. Dabei ist Steve Piechula keineswegs auf den Kopf gefallen, das merkt man sehr schnell, wenn man sich mit ihm unterhält. "Ich war früher faul, das ist die Jugend von heute", bekennt er freimütig. "Aber durch die eCn-Klasse hab ich dann gemerkt, das ist die Chance für meine Zukunft." Die Schule hatte ihm die Nachholung des qualifizierenden Mittelschulabschluss angeboten und ihm war klar, dies ist die Chance, doch noch einen Ausbildungsplatz zu bekommen. Also stellte er den entsprechenden Antrag.

Einen neuen Anlauf nehmen

eCn ist ein Angebot für Schüler aus dem gesamten Landkreis Lichtenfels, die den Qualifizierenden Mittelschulabschlusses aus den unterschiedlichsten Gründen bisher nicht erwerben konnten. In einem zusätzlichen Schuljahr können sie einen neuen Anlauf nehmen. Seit Bestehen des eCn-Ansatzes erreichten etwa 85 Prozent den Mittelschulabschluss und fast 75 Prozent der Schüler fanden eine Arbeit oder eine Ausbildung. Sie tragen damit aktiv und positiv zum Gemeinschaftsleben vor Ort bei. Ansonsten könnten ganz andere Probleme auftreten, wenn sich der Frust über vertane Chancen in Wut verwandelt und das Selbstwertgefühl verloren geht.

Dabei ist das Angebot für die Johann-Puppert-Schule fast so etwas wie ein Alleinstellungsmerkmal. Lediglich in Coburg gibt es ein vergleichbares Projekt. Ansonsten herrscht in Sachen eCn gähnende Leere im gesamten Freistaat und das, obwohl sich das Projekt in den rund zwölf Jahren seines Bestehens bewährt hat.

Nach zwei Jahren Geselle

"Eigentlich wollte ich Kfzler werden, aber durch die Praktika, die ich gemacht habe, hab ich gemerkt, dass ich handwerklich was drauf habe und dass mir das Spaß macht", erklärt Steve Piechula seinen Weg auf den Bau bei der Firma Kugler. Die Firma hat 35 Mitarbeiter, darunter sechs Leute in der Ausbildung. 2016 hat Steve Piechula mit seiner Ausbildung begonnen. Im Juli 2018 hat er seine Gesellenprüfung für Maurer bestanden. Zwei Jahre hat er als Hochbaufacharbeiter gelernt und im dritten Jahr hat er dann auf Maurer aufgestockt. Viel geholfen haben ihm dabei die Erfahrungen in der eCn-Klasse. "Man hat viel gelernt, auch Bewerbungen zu schreiben. Und es gab Extra- Nachmittagsunterricht mit den Betreuerinnen und ab und zu mit dem Lehrer." Mit rund 15 Klassenkameraden besuchte Steve Piechula die eCn-Klasse. "Für mich war's absolut der richtige Weg und ich hab diese Chance genutzt", weiß er heute.

Inzwischen lebt er in einer festen Partnerschaft und vor kurzem hat sich auch Nachwuchs eingestellt. Lediglich in Sachen Wohnung ist das junge Paar momentan noch auf der Suche. Und Steve Piechula kann es sich durchaus vorstellen, noch mehr aus seinen bisher erworbenen Kenntnissen zu machen. Das sieht auch der Juniorchef der Firma Kugler so. "Mancher Jugendliche entwickelt sich erst später und durchläuft dann noch die komplette Ausbildung bis hin zum Meister."

Aber ganz ohne Qualifikation geht es nicht. "Bei der Bewerbung schaut man schon im Zeugnis auf die Mathematik- und natürlich auch etwas auf die Deutschnote. Aber es bringt nichts, wenn jemand theoretisch super ist und es nicht schafft, ein Brett an die Wand zu dübeln", so der Bauingenieur Florian Kugler. Und so reagieren heute viele Betriebe und Firmen aufgeschlossen auf Jugendliche, die ihren Mittelschulabschluss an der eCn-Klasse gemacht haben.

Dabei ist Steve Piechula kein Einzelfall. Auch Natascha Leuci hat die Extrachance genutzt und ist im Nachhinein froh darüber. Die Schülerin aus Ebensfeld wurde durch einen Besuch von Kathrin Sünkel und Tina Schardt an ihrer Schule auf die eCn-Klasse aufmerksam. An der Johann-Puppert-Schule gab es dann zunächst einen Infoabend für Schüler und Eltern. Voraussetzung für das Zustandekommen der besonderen Klasse war eine Mindestteilnehmerzahl von 15 Schülern. Diese kommen aus dem gesamten Landkreis. Natascha kam deshalb jeden Tag mit dem Zug nach Michelau.

Die Eingewöhnung in das neue Umfeld erfolgte ziemlich rasch und die Schüler verstanden sich gut untereinander. Wichtig für Natascha war die persönliche Unterstützung durch die Lehrkräfte und die beiden Sozialpädagoginnen. Gemeinsam fieberte man der Abschlussprüfung entgegen. Die Aufgaben für Mathematik und Deutsch wurden zentral landesweit gestellt und unterschieden sich nicht von den Aufgaben für die reguläre neunte Klasse. Nach dem erfolgreichen Abschluss machte Natascha eine Ausbildung zur Einzelhandelskauffrau in der Weka. Inzwischen arbeitet sie mit Versicherungen zusammen, wäre aber aufgrund des persönlichen Kontakts mit den Kunden auch gerne wieder im Einzelhandelsbereich tätig. Dabei wäre ihr eine Vollzeitstelle wichtig, die aktuell jedoch nicht angeboten wird. An der entsprechenden Mobilität mangelt es ihr nicht.

"Ihr solltet auf jeden Fall die Extrachance nutzen", rät sie den Jugendlichen, bei denen es im ersten Anlauf nicht geklappt hat. "Denn man braucht auf jeden Fall den Abschluss. Und was ich hier gut finde ist, dass man gezwungen ist, seine Hausaufgaben zu machen, aber man wird auch unterstützt dabei." Das gilt auch für das Bewerbungstraining. Diese Unterstützung mit dem entsprechenden Druck hält sie für sehr wichtig.

Für eine Beratung stehen für alle Schüler und deren Eltern die Mitarbeiterinnen Kathrin Sünkel und Tina Schardt zur Verfügung: Telefonnummer 09571/ 8969888 oder E-Mail an ecn-klasse.michelau@elkb.de. Selbstverständlich kann man sich auch direkt an die Schulleitung wenden. Die entsprechenden Informationen findet man im Internet.