Druckartikel: "Empfangt sie doch erst einmal!"

"Empfangt sie doch erst einmal!"


Autor: Michael Busch

Herzogenaurach, Freitag, 09. Oktober 2015

Erfahrungen  Im Herzogenauracher Vereinshaus gab es Informationen zu Flüchtlingen in der Stadt. Bürger durften ihre Fragen stellen und Ängste äußern. Unbegründete Ängste, wie Rot-Kreuz-Mitarbeiterin Michelle Janisch findet.
Michelle Janisch hat Erinnerungsfotos an die Zugbegleitung auf ihrem Handy. Die Erlebnisse hat sie in ihrem Kopf.  Foto: Michael Busch


von unserem Redaktionsmitglied 
Michael Busch

Herzogenaurach — Ausgerechnet eine 18-Jährige steht auf und erklärt mit erhobenem Haupt: "Diese Ängste sind völlig unbegründet. Empfangt die Flüchtlinge doch erst einmal!" Man könnte Michelle Janisch Hochmut unterstellen. Woher soll das junge Mädchen denn wissen, warum die Angst vor den Flüchtlingen unbegründet ist?
Sie kann es tatsächlich, und zwar völlig frei von Besserwisserei oder eben Hochmut. Denn die wenigsten Fragesteller im Herzogenauracher Vereinsheim haben so engen Kontakt zu den Asylsuchenden gehabt wie die Herzogenauracher Gymnasiastin. "Ich bin für das Bayerische Rote Kreuz (BRK) als Zugbegleiterin inmitten dieser Menschen gewesen. Ich hatte nicht einmal Angst."
Los ging es recht spontan. "Es gibt wenig Vorlauf", erklärt Janisch. Innerhalb kürzester Zeit heißt es das Gepäck packen, rein in den Zug und dann Menschen quer durch Deutschland begleiten. Die Aufgabe ist im Grunde schnell geschildert: "Die medizinische Betreuung und Versorgung der in dem Zug reisenden Flüchtlinge wird von drei Kollegen und mir sichergestellt."


Helfende Syrer

Zusätzlich werden die Kinder im Zug betreut. "Luftballons aufpusten, spielen." Nicht immer ganz folgenlos. Denn gerade die Kinder seien diejenigen, die unter einer Flucht massiv leiden. Immer wieder komme es zu Szenen, in denen die kleinen die Helfer nicht gehen lassen wollen. "Und das obwohl wir uns nicht mit der Sprache verständigen können", ergänzt Janisch. Sie bekommt nur am Rande die Geschichten der Menschen mit, sieht aber, dass die Flüchtlinge sehr dankbar sind, weil sie endlich Hilfe bekommen.
"Angst im Zug? Nicht vor den Menschen!" Eher Angst vor den Menschen, die keine Flüchtlinge haben wollen und aggressiv gegenüber diesen auftreten. Von München und Freilassing nach Frankfurt respektive Berlin habe es nicht ein Problem gegeben. Kein Vorurteil habe sich bestätigt. Keine Ablehnung von Muslimen, weil sie eine Frau ist, kein Ärger, weil Kulturen aufeinander prallen.
Im Gegenteil: "Ich bin mal zusammengezuckt, weil sechs Syrer auf einmal hinter mir standen und anboten beim Flaschen verteilen behilflich zu sein." Menschen helfen Menschen.
Janisch ist davon überzeugt, dass die Flüchtlinge ganz andere Probleme haben als zu streiten, als Übergriffe zu planen, als Aggressoren aufzutreten. "Ganz ehrlich", meint sie, "am Erlanger Berg habe ich eher mal Angst." Die Alkoholisierten seien unberechenbar, aber nicht die Flüchtlinge. "Ich war privat dort am Berg und da habe ich seitlich eine auf das Gesicht bekommen, weil sich dort andere prügelten."


Einfach offen sein

Zwölf Stunden sei sie bei der Tour vom Süden in die Hauptstadt zusammen mit den Flüchtlingen gewesen. Ohne Probleme. Bezeichnend sei eher gewesen, dass bei einer Tour, der Zug weit vor einem Bahnhof stehen blieb, um beladen zu werden. "Unter Polizeischutz wurde dann Essen und Trinken in den Zug geschafft." Aufwändige Sicherheitsmaßnahmen, weil die Angst von Anschlägen von außen so groß war. "In den Bahnhöfen wurde nicht gehalten."
Michelle Janisch spricht kein Arabisch, die Verständigung ist schwierig. Aber möglich. Sie kann die Skeptiker immer nur aufrufen, dass man die Flüchtlinge mit offenen Armen empfängt. "Da sind viele Vorurteile gepaart mit gefährlichem Halbwissen dabei." Ein Zug mit 600 Flüchtlingen ist genauso gefährlich wie ein Zug mit 600 Deutschen. Ein Risiko gibt es immer.