Eine voluminöse Angelegenheit
Autor: Brigitte Krause
Haßfurt, Montag, 29. Februar 2016
Die gut 40 Frauen, die sich gegenwärtig selbst die erste "Haßberge-Tracht" nähen, haben mittlerweile - Stehkragen hin oder her - die weiße Baumwollbluse gemeistert. Auch der Rock soll vor Ostern fertig sein. Der hat's in sich.
Brigitte Krause
Am liebsten würde sie einen Urschrei ausstoßen und das Ding in die Ecke pfeffern...! Eine der Frauen beim Nähkurs für die Haßberge-Tracht verzweifelte fast.
Untersteinbach, Untermerzbach, Haßfurt? Es gibt für die mehr als 40 Frauen vier parallel laufende Nähblöcke, aber Ort und Name tun nichts zur Sache. Decken wir eine Stoffbahn drüber, schließlich war die tapfere Schneiderin nicht alleine in ihrer Not: Das "Stiftelband" hat seine Tücken und dürfte auch bei anderen Frauen den Adrenalinpegel nach oben gejagt haben. Dinge, die eben unkalkulierbar geschehen, wenn frau sich selbst ans Handwerk wagt.
Was ist ein Stiftelband eigentlich? Früher hat man die unendlichen Weiten für den Rock adrett gebändigt, indem man sie auf Bundhöhe mit Nadel und Faden per akribischer Handarbeit in klitzekleine Falten zog.
"Stifteln" heißt das, wenn die Stofffältchen wie kleine Stiftchen in Reih und Glied den Rock (im Bayerischen auch die Schürze) zieren. Würden die Kursteilnehmerinnen für die Haßberge-Tracht das heute so machen, sie wären sicherlich bis Weihnachten nicht fertig, denn gestiftelt wird in mehreren Reihen!
Die "Schnelle Falte"
Die moderne Industrienäherei hat für solche Komplikationen die "Schnelle Falte" erfunden, ein Zugband, das wie ein Gardinen-Rüschenband funktioniert und schöne gleichmäßige Falten zaubert. Voraussetzung: Dass man dieses Ding beim Draufnähen auf den Rockstoff nicht verzieht. Weil es eine gewebte Grundstruktur hat, kann das aber passieren, und dann lauert das Grauen: Die Falten stehen nicht wie die Stiftla da, sondern erscheinen kreuz und krumm.
Was übrigens durchaus nicht verkehrt ausschaut; dem ungeübten Blick fällt es nicht auf, die fränkische Frau treibt's auf die Palme. "Wenn's bei alla so wär', wär's mir ja wurscht!", seufzt die Nähkünstlerin und bemüht sich nach Kräften, die Fältchen Stück für Stück mit den Fingern gerade auszurichten. Die einen haben alles richtig gemacht, die sind fein raus, den anderen gelingt es noch, bei mancher dann scheinen die Bemühungen hoffnungslos. Eine Fleißarbeit für Zuhause wird das werden! Auftrennen ist kaum möglich, denn zwischen jedem einzelnen Zugbändchen sitzt eine eigene Naht - trenn' das mal auf...!
Andere Näherinnen haben ihre liebe Not mit der Bluse gehabt. Den Stehkragen richtig oben an den Halsausschnitt zu setzen und sauber zu verstürzen, ist eine Kunst für sich. Manche musste ihr Werk mühsam auftrennen und neu ansetzen. Oder: Das Blusenvorderteil mit beiden Knopfleisten gleich lang hinzukriegen. Und selbst bei einem einfachen Halsausschnitt (ohne Stehkragen) darf der Stoff beim Nähen nicht überdehnt werden, sonst knickt er um, und der Ausschnitt liegt nicht glatt auf der Haut.
Noch mal der Rock: Er wird vorne mitten auf dem Bauch mit einem Häkchen geschlossen, dabei stoßen zwei Kellerfalten aufeinander. Und wie das so ist, liegen die nicht schön flach, nein, die springen auf und machen aus einem Bäuchlein, so scheint es, einen veritablen Bauch. Nein, eine Tracht ist im heutigen Sinne nicht unbedingt figurfreundlich. Das Gegenteil ist der Fall. Aber ist das nicht doch genau das Schöne an der Tracht? Dass man(n) die Rundungen bewundern darf.