Druckartikel: Ein Mann - 100 000 Worte

Ein Mann - 100 000 Worte


Autor: Birgit Kunig

Bad Staffelstein, Freitag, 26. Mai 2017

Jan Burdinskis Abrechnung mit der Welt und den Menschen: von brüllend komisch bis todernst.
Bei Jan Burdinski gerät die Welt aus den Fugen. Foto: Birgit Kunig


Am Donnerstagabend des "Vatertages" gibt es zwei Männerlager in Bad Staffelstein. Die einen bewegen sich angeschickert in Richtung Bahnhof, die anderen begleiten überwiegend nüchtern ihre Herzdamen, Mamis oder Omis zum Brückentheater in den Kurpark. Und das dritte Lager wird gar nicht erst erwähnt, liegt wahrscheinlich schon auf dem Sofa und hat ordentlich was verpasst. Wenn Jan Burdinski in seiner One-Man-Show auf der Bühne steht, geht die Post ab.


Schräge Wortgewalt

Unter einem plätschert es gemütlich. Das harmlose Plätschern steht ganz im Gegensatz zu Burdinskis schräger Wortgewalt. Wer das erste Mal da ist, findet die Location auf der Brücke sowieso einzigartig. Das schmale Brückentheater mit 58 Plätzen ist angeblich weltweit das einzige Theater auf einer Brücke. "Hier hat jedes Theaterstück das gewisse Etwas."
Eine Frau aus Ebersdorf hat Karten für alle Vorstellungen gekauft und kommt ständig hierher. "Ich war ja schon in der ganzen Bundesrepublik unterwegs, aber so eine nette Kleinkunstbühne wie hier habe ich noch nirgends gesehen." Sie kaufe auch Karten als Geschenke, die ziemlich gut ankommen. Auch die Lehrergruppe aus Burgkunstadt mit tschechischen Austauschlehrern ist angetan, der Text wird dann auch von der Organisatorin im Publikum ad hoc ins Englische übersetzt, klingt jedenfalls total lustig, fast wie eine Show für sich. Und der umsorgende Enkel aus Bamberg, der mit seiner Oma mit Rollator da ist, ist auch ganz begeistert.
Ein Mann, ein Wort - ist eine starke Untertreibung: ein Mann 100 000 Worte und vier Instrumente: Gitarre, Keyboard, Schifferklavier und Stimme, zumindest benutzt er sein Stimmorgan, bzw. den Kehlkopf und seine Stimmbänder wie ein solches. Er schmettert, ächzt, stöhnt, jammert und leiert. Wie ein Leierkasten eben. Oder wie eine Violine, auf der nicht brilliert, sondern gekratzt wird.


Auch das Publikum agiert

Wichtigstes Utensil des interaktiven Stückes sind ein riesengroßer Globus als Gummiball und die Antwortkarten: ja/nein; geht mir am Arsch vorbei/macht mir Angst. Ohne Gegenspiel des Publikums geht hier gar nichts, das Stück lebt davon und es wird herzhaft und befreiend gelacht dabei, trotz des aufwühlenden Themas, dass die Welt immer verrückter wird oder auch gerade deswegen. Typischer Beleg von Galgenhumor.
Den gibt es nicht nur in der ersten Reihe, sondern bis ganz hinten in der letzten, was aufgrund des extrem schmalen Bauweise des Holzhauses sehr charmant ist. Man muss sich schon sehr anstrengen, um alles zu überblicken, und das ist wohl auch der Grund, weshalb der Künstler, Preisträger und Intendant des Fränkischen Theatersommers so wild gestikuliert, schreit, brüllt, hüpft und tanzt. Vorne wird man völlig mitgerissen - ist quasi mitten in der Szenerie - und ganz hinten hat das eine gewisse Kasperletheateroptik, jedenfalls ist das auch sehr reizvoll. "Hat der Globus Intelligenz? Denken sie darüber nach, ich komme wieder." Sogleich ist er wieder verschwunden, kam wieder, sah und siegte - und testet erst mal alle Lichteinstellungen und die Leute quietschen jetzt schon vor Vergnügen. "Es geht heute unter die Haut, wenn es zu heftig wird, verlassen Sie den Saal - besser nicht!" "Können Sie noch ruhig schlafen? Die Praxen sind voller angstgestörter Menschen." Aber für alles habe er Trostpflästerchen bereit und dies hier sei ein "Desensibilisierungstheater" und besser als jede Therapie. "Die Welt ist aus den Fugen" - "ja wer hat das gesagt?", will er wissen. Ja, der Steinmeier war's - wenigstens kommt's von einem glaubwürdigen Politiker.
Das Stück ist so komisch-tragisch rasant und voller Wortakrobatik, dass man kaum folgen kann. Und Burdinski baut mimithilfe der fiktiven Gattin "Eleonore" eine einleuchtende Story auf. Die schöne Ehefrau sei nicht mehr zufrieden mit ihm, er denke weder global noch ökologisch und sei nicht politisch genug. Das führt schließlich zu immer mehr Ärger und Streitereien. Auch zu wenig Freunde habe er, wirft sie ihm vor. Wie sie denn darauf käme, wo er doch mehr als 1000 Follower auf Facebook, Twitter, LinkedIn, Xing, Instagram, Tumblr, Flickr & Co. habe. "Sogar bis nach Australien habe ich Freundschaften." Als auch noch sein Betrug aufgedeckt wird, kommt es zu endgültigen Bruch. "Meine Frau hat mich verlassen, oh hätt' sie doch der Blitz erschlagen", singt er weinerlich, jammert und brüllt voller Inbrunst und Selbstmitleid und leiert "uaiuaiuaiauiaui". "Eingegangen wie eine Primel, wurde ich zum Menschenhasser."


Am Arsch vorbei?

Doch er will sie zurückgewinnen mit langen Briefen und Entschuldigungen. Worauf die Gattin ihn schmollend lange schmachten und werben lässt. Sie schickt ihm Zeitungsschnitzel über Politik und Weltwirtschaft. Nur indem er sich mit dem Weltgeschehen und Katastrophen beschäftigt, wird er sie zurückbekommen. Und immer wird das Publikum zu seiner Einstellung zu all den Themen wie Islamophobie, Fremdenhass, europäischer Gedanke und Brexit befragt. "Ob auch den Franken der Brexit am Arsch vorbeiginge?", will er wissen. Er spielt mit den Ängsten der Menschheit und treibt das mit humoristischen Auswüchsen auf die Spitze: Angst vor dem Altern, Kriegen, Weltuntergangsszenarien wie Atomunfälle und Klimakatastrophen. Und so langsam gewinnt das Ganze an Brisanz und ist überhaupt nicht mehr nur komisch, sondern bitterer Ernst. Auf der einen Seite die Hypochonder, die vor allem und jedem Angst haben, auf der anderen Seite aber die Erkenntnis ob der Realität und der Gefahren, die uns umgeben. Und wehe es antwortet nicht jeder rechtzeitig oder ist zögerlich, die Schilder mit der Entscheidung hochzuheben, dann gibt's Pfeffer. Ja, er hat tatsächlich "Pfeffer im Hintern", wenn er Gedichte von den Komödianten Otto Reutter und Heinz Erhardt zum Besten gibt. Aber auch Sarkastisches von Ringelnatz und Hermann Hesse rezitiert er mal lautstark wild gestikulierend, mal feinsinnig poetisch. Oder wenn er die Tasten seines Keyboards und seines Schifferklaviers ziemlich durchgeknallt bearbeitet. Nur wenn er Gitarre spielt, klingt es etwas versöhnlicher. Im Schifferklavierlied "Bevor du stirbst" gibt er ironisch-morbide Tipps: "Stell deine Heizung ab, für dich ist Kälte besser, Frauen wollen noch zum Schneider, können nicht trauern ohne Trauerkleider. Spende mit vollen Händen, gib alles aus, brauchst keinen Sarg zu kriegen, Sei unbesorgt - sie lassen dich nicht liegen."
"Schreien macht geistig und körperlich Muskeln", damit entlässt er das ziemlich aufgewühlte, aber begeistert applaudierende Publikum mit einem gemeinsam mehr gebrüllten als gesungenen Shanty.