Ein Lebenswerk geht zu Ende
Autor: Corinna Tübel
Trieb, Sonntag, 01. November 2020
Trotz großer Bemühungen muss der Tante-Emma-Laden in Trieb nach 67 Jahren schließen. Wie solch ein Geschäft funktionierte und welchen Schatz die langjährige Inhaberin Irene Bauersfeld hinterlassen hat.
Die alte Türglocke schlägt an. Im Verkaufsraum hinter dem großen Schaufenster erwartet die Kunden eine heimelige Zeitverschiebung - zurück in die Vergangenheit. Alte Regale im vorderen Verkaufsraum, darin Zeitschriften, Obst, Konserven und vieles mehr. Im hinteren Teil sind die Wände teils gefliest, Wurst und Käse gut gekühlt, ausgewähltes Gebäck wartet auf Naschkatzen.
Kein erschlagendes Warenangebot, zwei Sorten Zahnpasta, eine alte Obstwaage, der bekannte Brandt-Zwieback mit dem Kindergesicht im Regal. Doch da ist auch eine aufgeschlossene junge Frau, Melanie Bauersfeld, die mit ihren Ideen die Gegenwart verkörpert. Mit viel Engagement wollte sie das Lebenswerk ihrer Großmutter Irene, den Tante-Emma-Laden in der Mittleren Straße in Trieb, fortführen, den diese 67 Jahre lang geführt hatte - bis zu ihrem Tod vor kurzem.
Als Teenager kam die gebürtige Litauerin mit anderen Vertriebenen in den rund 500 Einwohner zählenden Ort und fasste mit in der Bäckerei und im Laden ihres Ehemannes Fuß. Auf eine Erfolgsära mit anfänglich nur offenen Waren und großer Kundschaft folgte der Anschluss an Rewe. Als der Umsatz zu gering wurde, endete die Kooperation. Weitergekämpft hat Irene Bauersfeld, die schon früh ihren Mann verlor, trotzdem - mit dem kleinen Laden, der so viel mehr war als nur ein "Geschäft".
Das Auto mal stehen lassen
"Bei Frau Bauersfeld war es immer schön", erinnert sich eine Kundin, die gerade Fisch und Zitronen kauft. "Sie war immer sehr freundlich, sie hat oft von früher erzählt. Und im Laden hat man Leute getroffen, obwohl man nicht alles hier kriegt." Doch das störe sie nicht, denn dass sie ihr Auto mal stehen lassen könne, sei auch viel wert.
Wie lange sie schon hier einkaufe? "Eigentlich schon immer", lacht sie und zollt der Enkelin Melanie Bauersfeld ihren Respekt für ihr Engagement. Denn diese hat in den vergangenen Monaten viele Anstrengungen unternommen, um wieder mehr Kunden anzulocken: Sie hat versucht, sich bei den Einwohnern bekannt zu machen. Zwar kennen sie ihre Kunden meist von Kindesbeinen an, ebenso umgekehrt, doch sie braucht "mehr Trieber". Die Kunden kennt sie beim Namen und auch so manche ihrer Vorlieben oder Befindlichkeiten.
Einer älteren Frau bringt sie ihre Zeitung und ihre Brötchen sogar ans Autofenster, damit diese nicht aussteigen muss. "Das ist das Besondere hier: Wir kennen uns alle, das ist schön und sehr herzlich."
Dennoch wird die Kundenzahl geringer. Eine Sortimentsänderung nach den Kundenwünschen, Annoncen, die Aufnahme einer Post-Station oder ein Lieferangebot haben nicht den gewünschten Erfolg gebracht. "Wenn man hier nur holt, was man im Supermarkt vergessen hat - davon können wir nicht überleben", bemerkt die junge Frau, die mit ihrem Vater Rainer beschlossen hat, den Betrieb Ende des Jahres zu schließen. "Dabei würden auch die noch nicht so alten Trieber später von einem solchen Laden profitieren", sind sich beide sicher.
Ein Hemmnis sind für manche die Preise im Tante-Emma-Laden. Natürlich sind diese geringfügig höher, dafür spart man jedoch Spritkosten und senkt die Umweltbelastung. Denn das ist der jungen Frau auch wichtig: Die Wurstwaren etwa stammen von einer Metzgerei aus dem Landkreis, der Fisch aus einem Fachgeschäft in Kronach.
Heute ist viel los: Der Kabeljau, auch so eine Idee von Melanie Bauersfeld, zieht die Kundschaft an. Diesen wiegt sie nach individuellen Wünschen ab - selbstverständlich corona-konform mit Handschuhen und Mundschutz.
Fotokarten mit der Gründerin
An der Kasse in Trieb hat jeder Zeit und Anstand. Dort liegen auch Fotokarten zum Mitnehmen. Motiv ist Irene Bauersfeld, die herzlich und natürlich in die Kamera lacht. Diejenigen, die sie kannten, erinnern sich an sie, die anderen träumen vielleicht mal von diesem Ort, der Menschen nicht nur versorgte, sondern zusammenbrachte.