Ein Angeklagter kann sich wegen Krankheit nicht dauerhaft vor seinem Prozess drücken
Autor: Manfred Wagner
Haßfurt, Montag, 09. Mai 2016
Manfred Wagner Es kommt immer wieder mal vor: Eine angeklagte Person ruft kurz vor dem Verhandlungstermin beim Amtsgericht in Haßfurt an und teilt mit huste...
Manfred Wagner
Es kommt immer wieder mal vor: Eine angeklagte Person ruft kurz vor dem Verhandlungstermin beim Amtsgericht in Haßfurt an und teilt mit hustender Stimme mit, dass sie plötzlich erkrankt sei. Kann natürlich tatsächlich passieren, kann aber auch eine faule Ausrede sein. Gesetzt den Fall, dass es sich um eine Flunkerei handelt, stellt sich die Frage: Kann jemand mit einer solchen Finte seinen Kopf noch aus der Schlinge ziehen?
Der konkrete Fall passierte gestern Vormittag. Für dreiviertel zehn Uhr war eine Verhandlung beim Jugendgericht angesetzt. Dem Aushang vor dem Gerichtssaal war zu entnehmen, dass sich die Anklage gegen eine junge Frau richtet. Sie sollte sich wegen eines Betrugsvorwurfs verantworten. Genau eine Stunde vor dem geplanten Beginn rief die Frau an und sagte, dass sie akut an einer Magen-Darm-Grippe erkrankt sei und deshalb nicht kommen könne.
Nach deutschem Recht begründen leichte gesundheitliche Beeinträchtigungen wie oberflächlicher Husten, Schnupfen oder geringe Kopfschmerzen noch keine Verhandlungsunfähigkeit. Die ist erst dann gegeben, wenn man annehmen muss, dass jemand nicht in der Lage ist, sich wirklich zu verteidigen beziehungsweise dem Prozess zu folgen. Ein ärztliches Attest reicht meistens. Dies nutzen findige Zeitgenossen, indem sie sich immer wieder von ihrem Arzt krankschreiben lassen, sobald ein Gerichtstermin naht.
Also doch ein Schlupfloch? Die eindeutige Antwort lautet nein, denn: Die Verhandlungsfähigkeit kann ein Gericht auch dadurch herstellen, dass eine spezielle amtsärztliche Untersuchung angeordnet oder festgelegt wird, dass während eines Prozesses ein Arzt anwesend ist oder häufige Verhandlungspausen eingelegt werden.
Belehrung
Der Haßfurter Jugendrichter Martin Kober jedenfalls belehrte gestern die Frau, dass der telefonische Anruf nicht ausreiche und sie auf jeden Fall ein ärztliches Attest brauche. Darauf erwiderte die Anruferin, dass sie gleich zu ihrem Hausarzt gehen wolle.Wie zu erwarten, blieb um 9.45 Uhr die Anklagebank leer. Der Gerichtsvorsitzende wartete die vorgeschriebenen 15 Minuten und beriet sich sodann mit der Staatsanwältin. Die Strafprozessordnung gibt den Juristen in einem solchen Fall grundsätzlich zwei Instrumente als Zwangsmaßnahmen an die Hand: die polizeiliche Vorführung zum nächsten angesetzten Termin oder einen Haftbefehl.
Zum nächsten Termin, der auf den 20. Juni festgesetzt wurde, wird die Angeklagte nun von Polizeibeamten vorgeführt. In der Praxis läuft dies so ab: Entweder stehen die Uniformierten am Vorabend des Gerichtstermins unangemeldet an ihrer Haustür, nehmen sie mit und stecken sie über Nacht in die Polizeizelle oder - wenn beispielsweise auf der Polizeidienststelle viel los ist - erscheinen die Gendarmen im Morgengrauen und klingeln sie aus dem Bett.
Haftbefehl
Was aber ist, wenn sich jemand rechtzeitig aus dem Staub macht und die Polizisten unverrichteter Dinge wieder abziehen müssen? Dann kommt es zum richterlichen Haftbefehl, die Juristen sprechen von einem Untersuchungshaftbefehl. Dafür muss ein Haftgrund bestehen, und das ist vorliegend die Fluchtgefahr. Alle deutschen Polizeidienststellen erhalten diesen Haftbefehl und sobald die jeweilige Person kontrolliert wird, landet sie in U-Haft.
Zeitnah wird sodann ein Verhandlungstermin anberaumt - und genauso lange dauert die Zeit im Kittchen.Als Fazit lässt sich feststellen: Auf Dauer gibt es praktisch keine Möglichkeit, sich als Angeklagter vor der Verhandlung zu drücken. Aufgeschoben ist eben nicht aufgehoben. So nutzlos die Versuche mancher Spitzbuben auch sind, so ärgerlich sind sie für andere, die vergeblich erschienen sind: Richter, Staatsanwalt, Rechtsanwalt, Gerichtsschreiber - und für den Prozessbeobachter der Lokalzeitung.