Die Zigarette unter Männern
Autor: Markus Häggberg
Lichtenfels, Freitag, 22. November 2019
Markus Häggberg Dann und wann kassierte Hans eine Ohrfeige von seinem Vater. Das kam nicht oft vor, aber immer wenn es soweit war, durfte sich der Bub auf etwas gefasst machen und konnte es sich aber ...
Markus Häggberg Dann und wann kassierte Hans eine Ohrfeige von seinem Vater. Das kam nicht oft vor, aber immer wenn es soweit war, durfte sich der Bub auf etwas gefasst machen und konnte es sich aber doch erklären. Jedenfalls bekam er immer eine gescheuert, wenn er von seinem Vater beim Rauchen erwischt wurde.
Einmal erzählte er mir, dass er nie so genau wusste, ob er sie erhielt, weil er geraucht hatte, oder weil er sich dabei erwischen ließ. Aber Glimmstängel in der Hand, Rauch im Kinderzimmer oder hinter der Scheune im Garten hatten ihre Konsequenzen, und diese Spielregel war klar. Der Junge machte seinem Vater keine Vorwürfe, und auch für den Vater war die Sache nach einer Ohrfeige stets erledigt gewesen. "Zum Abendbrot haben wir schon wieder Unfug zusammen gemacht", erklärte Hans mir mal. Dann hätten sich Vater und Sohn gegen die Mutter verschworen und sie aufs Korn genommen. Dem Sohn garantierte das Straffreiheit und dem Vater eine Aufheiterung des Ehelebens. Es war April 1945 und Hans war gerade 13 Jahre alt geworden. Er war viel zu jung, um zu rauchen, aber nicht zu jung, um sich sein Mannsein zu erträumen. Es waren die letzten Kriegstage, und Lichtenfels war verschont geblieben. Einmal sollte es zu dieser Zeit entlang der Gleise krachen, aber ansonsten zeigte sich der Amerikaner weitgehend friedlich.
Hans probierte erste Brocken der englischen Sprache, und auch wenn er den Krieg nicht gerne verlor, so freute er sich doch auf die Ankunft der Panzer und Jeeps. Jungs halt. Er ging ins Gymnasium, freute sich über jetzt vermehrt ausfallende Schulstunden, rauchte ab und zu eine Zigarette und bekam dann und wann eine gefeuert. Eines Tages fragte ihn sein Vater, ob er mitkomme, hinüber in den Itzgrund und auf einen Verwandtschaftsbesuch. Sie schmierten sich Brote, schnürten ihre Wanderstiefel und gingen los. Unterwegs sprachen sie über allerlei, über die politische Lage und was in Zukunft würde. Und sie fanden Zeit, gemeinsam zu lachen.
Doch plötzlich hörten sie ein Flugzeug in der Ferne. Das Motorengeräusch war ihnen vertraut, und sie wussten, dass es nun gefährlich werden könnte. Der Tiefflieger hatte die beiden Lichtenfelser bemerkt und kam herbeigestürzt. Er nahm Vater und Sohn ins Visier und feuerte erbarmungslos mit dem MG. Vater und Sohn rannten über offenes Gelände, mitunter im Zickzack, und dabei schlugen neben ihnen die Kugeln eines schweren Kalibers ein. Mit viel Glück erreichten die beiden Lichtenfelser sichere Deckung hinter einem Felsen. Erschöpft ließen sie sich fallen und atmeten durch. Der Tiefflieger flog weiter und verschwand.
Es dauerte, bis Vater und Sohn zu Kräften gekommen waren, und in dieser Zeit sprachen sie nicht. Vater und Sohn blickten sich an. Der Vater griff mit seiner Hand in sein Jackett, holte seine Zigaretten heraus und reichte eine davon seinem Sohn. Der Junge griff zu, schweigend aber lächelnd. Auch der Vater lächelte und zündete erst die Zigarette seines Sohnes und dann seine eigene an. Gesprochen wurde nichts, es war alles gesagt, und Heinz wusste, dass sein Vater ihn nun als erwachsen ansah.
Der Vater nahm einen tiefen Zug, und sein Sohn tat es ihm gleich. Dann standen die beiden Männer auf, verständigten sich auf dasselbe Lied und machte sich auf den Weg zur Verwandtschaft. So erzählte es Heinz mir immer. Er lebt auch schon nicht mehr.