Druckartikel: Die Weisheit des Alters

Die Weisheit des Alters


Autor: Markus Häggberg

Lichtenfels, Donnerstag, 10. Dezember 2020

Markus Häggberg Wir wollen alle alt werden. Wir versprechen uns etwas davon und es gibt ja auch so viel, was man dem Alter zugutehält. All die Weisheit, all das Wissen, all die Milde. Wie schön ist es...


Markus Häggberg

Wir wollen alle alt werden. Wir versprechen uns etwas davon und es gibt ja auch so viel, was man dem Alter zugutehält.

All die Weisheit, all das Wissen, all die Milde. Wie schön ist es doch da, wenn man einem Hundertjährigen begegnen darf, der sortiert ist und reflektierend. Als ich davon erfuhr, dass man einander treffen wird, fühlte ich mich beschenkt, denn auch ich stelle mir in unbeschäftigten Momenten bisweilen die Sinnfrage des Lebens. Manchmal, das ist ulkig, werde ich sogar selbst nach dem Sinn des Lebens gefragt und kann dann keine Antwort geben, weil ich schon froh sein darf, wenn ich nach dem Aufwachen noch meine Schlappen finde.

Ich kenne mich ja ein bisschen und darum bedeutete es mir viel, als ich von einem anstehenden Treffen mit dem Hundertjährigen erfuhr. Zuerst war ich zwar skeptisch, weil der Mensch mit mir verwandt ist, aber man kann sich die Hundertjährigen halt auch nicht raussuchen. Und so ging ich in mich und langsam stieg dieses Gefühl auf, dass man nun doch mal endlich mit jemandem zu tun bekommen wird, der aus seiner Rückschau etwas von Weisheit zu sagen hat. Das aber nicht aus Büchern und Traktaten, sondern aus dem wirklichen echten Leben. Aber was?

In mir stieg die Vermutung auf, dass das doch nun gewiss wieder von den Fragen abhängig sein könnte. Also fragte ich mich, was ich diese Person fragen könnte. Aber so viel ich mich auch fragte, alles spitzte sich doch immer wieder auf diese eine Frage zu: Worum geht es im Leben eigentlich?

So vorbereitet machte ich mich auf den Weg und muss jetzt zugeben, dass mein Hundertjähriger im Grunde ja eine Hundertjährige war. Frisch und munter begrüßte sie mich und erzählte mir von meiner Oma. Wir hatten uns schon lange nicht mehr unterhalten und es war gemütlich und sie war klug und sie war witzig.

Dann fasste ich mir ein Herz, ergriff ihre Hand und fixierte sie. Ich stammelte: "Sag mal - aus deiner Sicht jetzt, du hast ja viel erlebt und viel geschafft -, was meinst du: Worum geht es im Leben eigentlich?" Meine Hundertjährige sah mich an, und in dem Blick lag so viel Witz und so viel Milde. Auch sie drückte meine Hand jetzt fest zurück, sah mir in die Augen und sagte: "Keine Ahnung, weißt du's?"