Die Nerven liegen blank
Autor: Klaus Rößner
Ködnitz, Sonntag, 11. Juli 2021
Konflikte In Ködnitz braut sich eine explosive Stimmung zusammen, weil landwirtschaftliche Maschinen immer häufiger Häuser und Einfriedungen beschädigen.
Jede Nacht mit Angst zu Bett zu gehen - diese Vorstellung ist beunruhigend. Angst davor zu haben, dass am nächsten Morgen ein Teil des Hauses demoliert ist. Oder der Gartenzaun zerstört. Oder das geparkte Auto vor dem Haus. In dieser ständigen Angst leben einige Ködnitzer Familien, die im Bereich Mühlbach und Mühlgraben wohnen. Seit dort ein Unternehmer auch nachts mit landwirtschaftlichen Maschinen fährt, die so groß sind wie ein Kampfpanzer, ist es aus mit der beschaulichen Ruhe im Dörfchen. Bankette sind niedergewalzt, Leitpfosten abgeknickt, Einfriedungen demoliert. Die Nerven liegen blank.
Wolfgang Popp ist ein umgänglicher Mensch. Friedfertig, kein Aufwiegler oder aggressiver Typ. Wenn der Schreinermeister spricht, dann klingt das ausgewogen, sachlich, moderat. Doch dem 64-Jährigen, dessen Familie das Anwesen am Mühlbach 3 schon seit Generationen bewohnt, reicht es jetzt allmählich. Er berichtet von Schäden an seinem Anwesen, offensichtlich angerichtet von überbreiten landwirtschaftlichen Gespannen. Die quetschen sich durch das kleine Sträßchen, das von Ködnitz aus zu den Rangenortschaften oberhalb führt.
Die Traktoren sind so breit, dass sie in Zentimeterarbeit dirigiert werden müssen auf der maximal 3,90 Meter breiten Trasse. Riesige Anhänger mit drei Achsen machen es unmöglich, die dortige Kurve in Fahrtrichtung zum Kulmbacher Tierheim in einem Zug zu meistern. Das Gespann muss mehrfach zurücksetzen.
Auch Steinbarriere weggeschoben
Trotz dieses Rangierens bleibt es nicht aus, dass der Privatgrund der Popps überfahren wird. Das wollte die Familie nicht mehr dulden - auch aus Sorge um ihre Schreinerei, die dicht an der Straße steht.
Tochter Bettina sicherte das Grundstück mit Steinen - ohne Erfolg. Der Fahrer eines großen Traktors schob mit seinen Anhängerreifen die Barriere weg und rollte abermals über den Rasen. Auch die Einfriedung wurde beschädigt - nach Spurenlage offensichtlich von einem Anhänger. Seine Reifen schoben die Platten auf der kniehohen Mauer einfach weg.
Gleich gegenüber liegt das Anwesen der Lepperts. Hier überfahren die Zugmaschinen den Rinnstein und nähern sich bedrohlich dem Haus. Das hat bereits Schaden genommen - allerdings durch einen Laster. Doch bei der Größe der heutigen Traktoren-Monster scheint es nur eine Frage der Zeit zu sein, bis es wieder kracht.
Auch außerhalb der Ortschaft sind Schäden entstanden. Dort misst die Straße hoch zum Tierheim nur 2,40 Meter. Die Gespanne müssen ob ihrer immensen Breite die Bankette befahren, die merklich gelitten haben. Zahlreiche Leitpfosten wurden abgeknickt und einige Hundert Meter oberhalb der Ortschaft sind Leitplanken so instabil geworden, dass sie abrutschten. Die Fahrbahnränder weisen teilweise Risse auf. Die Strecke ist eigentlich auf 7,5 Tonnen limitiert. Mit einer Ausnahme: Für landwirtschaftliche Maschinen gilt diese Beschränkung nicht. "Die Landwirtschaft hat einen Freifahrtschein", sagt Marco Leppert.
Reparaturen auf Kosten der Allgemeinheit
Weitere Schäden sind zu befürchten: Im Straßenkörper der betroffenen Bereiche sind diverse Versorgungsleitungen verlegt: die Wasserleitung etwa, aber auch die Verrohrung des Mühlbaches nur wenige Zentimeter unter der Oberfläche. Bei einer derartigen Belastung werden über kurz oder lang Schäden auftreten, die dann auf Kosten der Allgemeinheit behoben werden müssen.
Bei einer Gemeinderatssitzung versuchte ein Vertreter des Maschinenrings, diese Befürchtungen zu zerstreuen. Mit dem Hinweis darauf, dass die breiten Reifen den Druck der Maschinen so verteilten, dass hier keine Gefahr bestehe.
Damit aber geben sich die Betroffenen nicht zufrieden. Marco Leppert weist darauf hin, dass die Gespanne locker "50 bis 60 Tonnen auf die Waage bringen können", also das Achtfache der höchstzulässigen Tonnage. Für die Straße sei es gleich, ob die Belastung von einem Traktor herrührt oder von einem anderen schweren Fahrzeug. Deshalb fordert der 44-jährige Industriemeister die Bestellung eines "wirklich unabhängigen Sachverständigen", der die Gefährdungslage objektiv einschätzt. "Wir brauchen eine Tonnage-Beschränkung für ausnahmslos alle Fahrzeuge über 7,5 Tonnen."
Bislang hat es eine solche Forderung nie gegeben. Denn mit den örtlichen Bauern gab es derlei Probleme nicht. "Wir kommen gut miteinander aus, und wir haben auch Verständnis für die Lage der Landwirtschaft", wirft Wolfgang Popp ein.
Zu den Problemen sei es erst seit Sommer letzten Jahres gekommen, als ein Unternehmer aus dem Neuenmarkter Gemeindebereich Auftragsfahrten für Landwirte übernommen hat. Man habe mit den Fahrern über die Situation gesprochen und vorgeschlagen, eine andere, besser geeignete Route über Trebgast zu wählen oder kleinere Gespanne einzusetzen. Beides aber sei abgelehnt worden: zu unwirtschaftlich. Und der Umweg von acht Kilometern war den Fahrern zu lang.
In der Gesamtschau zeigt sich ein Dilemma: Was zählt mehr: wirtschaftliche Erwägungen oder der Schutz gemeindlichen und privaten Eigentums?
Ein sachlicher Diskurs in dieser Angelegenheit scheint immer schwerer. Zwar stehen die Anlieger für alle sinnvollen Lösungen offen, die Traktorfahrer aber reagieren zunehmend aggressiv. So haben sich am letzten Juni-Sonntag fernsehreife Szenen in Ködnitz abgespielt. Ein landwirtschaftliches Gespann hatte sich wieder einmal festgefahren, dahinter standen drei Autofahrer, die empört hupten, weil sie ihren Weg fortsetzen wollten.
Als dann noch Anlieger Siegfried Leppert die Szene mit der Kamera festhalten wollte, kam es zu einem Übergriff: Der Traktorfahrer sprang wutentbrannt aus dem Führerhaus und wollte dem 80-jährigen Senior in Wildwest-Manier die Kamera entreißen. Emotionale Ausbrüche hat auch schon Bettina Popp miterlebt, die Tochter des 64-jährigen Schreinermeisters. Sie wurde aufgefordert, die Steine zu entfernen, mit denen sie das familieneigene Grundstück sichert. "Der Fahrer hat mir mit der Polizei gedroht." Zudem sollte sie schon ihren Wagen wegfahren, der an der Straße geparkt ist und den Traktoren im Weg steht. Doch das vorübergehend stillgelegte Auto befindet sich nicht auf öffentlichem, sondern auf privatem Grund der Familie Popp.
Lösung des Problems lässt auf sich warten
Alles in allem braut sich in Ködnitz eine explosive Stimmung zusammen, bei der jederzeit weitere emotional ausgelöste Übergriffe möglich sind. Dem Gemeinderat ist die Problematik bekannt, eine Lösung des grundsätzlichen Problems lässt aber seit langem auf sich warten.
Einen möglichen Grund hierfür machen die Anlieger in der Zusammensetzung des Gremiums aus: Im Rat haben verschiedene Landwirte Sitz und Stimme. Diese würden sicherlich in einer Art Corpsgeist ihre Berufskollegen in Schutz nehmen, vermutet man.
Und bei Bürgermeisterin Anita Sack kommt noch eine besondere Bewandtnis dazu: Sie gehört dem landwirtschaftlichen Betrieb an, der dem in die Kritik geratenen Unternehmer die Transportaufträge erteilt hat.
Auf Anfrage unserer Zeitung erläuterte die Bürgermeisterin, dass ihr der Sachverhalt bekannt sei. Sie verteidigte die Handhabung, die in Rede stehenden Strecken für die Landwirtschaft frei zu halten - und zwar ohne Tonnagebeschränkung. Die auf den Gespannen montierten Luft-Breitreifen würden den Druck großflächig verteilen. Der sei nicht größer als die Belastung, die von einem normalen Pkw-Reifen ausgehe. Deshalb seien Schäden an der Straße und den eingebrachten Leitungen nicht zu erwarten, argumentiert sie.
Freilich dürften die Fahrer die Rinnsteine in der Ortschaft nicht überfahren oder sonstige Beschädigungen anrichten. Und wenn doch einmal etwas passiere, werde das sofort behoben. "Am Reißigweg hatten wir was an einer Dachrinne. Das ist sofort geregelt worden", sagt die Bürgermeisterin, deren Sohn Michael mit dem in Rede stehenden Unternehmer geschäftliche Verbindungen unterhält.
Das angesprochene Problem ergebe sich nur in einem sehr kleinen zeitlichen Rahmen, dann nämlich, wenn Silage oder Gülle gefahren werde. "Wir sprechen hier von ein paar wenigen Tagen im Jahr."
Bürgermeisterin um Konsens bemüht
Anita Sack zeigte sich zuversichtlich, dass das Problem aus der Welt geschafft werden kann. Der Transporteur verschließe sich nicht und sei gesprächsbereit. In Unterredungen habe er angekündigt, die kritische Strecke künftig mit wendigeren Gespannen zu befahren. "Er hat sich sogar ein kleineres Fahrzeug und einen kleineren Hänger gekauft, um besser um die Kurve zu kommen."
Anita Sack legte Wert darauf, einen Konsens zwischen allen Beteiligten herzustellen. Man müsse Verständnis haben für die unterschiedlichen Positionen und miteinander reden, um einen Ausweg zu finden. Eine Lösung dieser Art würde sicherlich dem Frieden in Ködnitz guttun.