Druckartikel: Die Kunst und die Macht

Die Kunst und die Macht


Autor: Rudolf Görtler

Bamberg, Freitag, 13. Oktober 2017

Das "Theater im Gärtnerviertel" (TiG) inszeniert ein Stück um Pablo Picasso.
Der Künstler und die Frau: Picasso (Stephan Bach) und Fräulein Fischer (Ursula Gumbsch)  Foto: Werner Lorenz


Rudolf Görtler

Eng war es bei den Vorstellungen des "Theaters im Gärtnerviertel" schon immer, aber diesmal hatten sich manche der über 60 Zuschauer klaustrophobischer Anwandlungen zu erwehren. Was für den Erfolg der freien Truppe um die Regisseurin Nina Lorenz spricht, die am Freitag mit Jeffrey Hatchers "Ein Picasso" ihre nun schon vierte Spielzeit eröffnete.
In zwei Blöcke geteilt ist das Publikum im "Mode-macht-Mut"-Geschäft in der Luitpoldstraße, gespielt wird vor - und auf - dem Ladentresen. Versteht sich, dass da nicht viel Platz bleibt fürs Bühnenbild. Immerhin ein Volksempfänger steht auf einer Balustrade, eine Kiste, zwei Hocker, das ist alles. Halt, Olga Seehafers Picasso-Drucke hängen an der Wand. Und Kostüme (Aline Joers) und Frisuren im 40er-Jahre-Schick. Der karge Spiel-Platz wird ausgefüllt von zwei Schauspielern, und wie. Die Bühnenpräsenz Stephan Bachs, die wie aus dem Nichts explodieren kann, kennt man mittlerweile. Doch in dem Zweipersonenstück des New Yorker Dramatikers und Drehbuchautors darf auch Ursula Gumbsch einmal all ihre Talente entfalten, vom maliziösen Lächeln über angedeutete Verführungskünste bis zu boshafter Erpressung.
Sie spielt das Fräulein Fischer, Sonderbeauftragte des Berliner Kultusministeriums, 1941 nach Paris geschickt, um einen echten Picasso - ein Bild - für eine Vernichtungsaktion "entarteter Kunst" zu besorgen. Doch das stellt sich erst im Verlauf des analytischen Dramas heraus. Pablo Picasso (Stephan Bach) ist einen Tag vor seinem 60. Geburtstag von der Gestapo mehr oder minder mit Gewalt zu dem Treffen genötigt worden und sieht sich vor die Aufgabe gestellt, drei Selbstporträts zu verifizieren: Sind sie echt oder gefälscht? Das Genie und die - wie sich herausstellen wird unfreiwillige - Nazisse belauern und umtändeln sich, der Macho Picasso setzt auf brachialen Charme, das raffinierte Fräulein Fischer auch auf weibliche Reize. Es ist ein Fest für zwei hervorragende Schauspieler, das die Schwächen des 1995 entstandenen Stücks (Inszenierung Mar-sha Cox) vergessen lässt. Denn zu penetrant materialisiert sich das Handwerk des Autors, der offenbar auf eine Verfilmung schielte, zu voll gestopft ist "Ein Picasso" mit biografischen Details, mit der ewigen Frage nach dem Verhältnis von Kunst und Politik, mit den im Dialog thematisierten Frauengeschichten Picassos, zu oberflächlich die Recherche Hatchers zur NS-Zeit. Zu verführerisch war für ihn offenbar des Künstlers sprichwörtlich gewordene Polyamorie, die er fast voyeuristisch ausbeutet. Bis Dora, die große Liebe, die "Männer mit ihrem Geist verschlingt", und schließlich das fiktive Fräulein Fischer den spanischen Macho bändigen.
Interessanter war manche Leiche im Keller von Künstler und Fräulein: Hat er den Freund Guillaume Apollinaire verraten? Und sie ihre großbürgerliche Familie, die mit Picassos Werken die Wände tapeziert? Was hat, was kann ein Gemälde wie "Guernica" bewirken? "Die schlechteste Kunst auf der Welt ist die politische" heißt es einmal. Über solche Fragen hat Peter Weiss eine 1200-seitige Romantrilogie geschrieben. Das TiG macht es kürzer. Trotz Enge und mancher Einwände: Die brillant aufspielenden Schauspieler lohnen den Besuch.