Die Geburt der "Schland-Fans"
Autor: Leonhard Hühnlein
Forchheim, Donnerstag, 05. Juli 2018
1990 gab es noch keine Fan-Schminke und selten Deutschland-Fahnen. Drei Männer aus dem Landkreis Forchheim erzählen, wie sie trotzdem ihre Freude schwarz-rot-gold ausdrückten.
Mit dem Vorrunden-Aus der deutschen Fußballer änderte sich hierzulande auch das inzwischen bei Welt- und Europameisterschaften übliche Straßenbild abrupt wieder. Schon anderntags war kein einziges Auto mehr mit schwarz-rot-goldenen Fähnchen an den Fenstern oder geschmückten Außenspiegeln auf den Straßen zu sehen. Durch die WM im eigenen Land 2006 etablierten sich die bis dahin hierzulande unbekannten Fan-Meilen und für das gemeinsame Verfolgen der Spiele auf riesigen Leinwänden in extra errichteten Zonen wurde der Begriff "Public-Viewing" geprägt. Gleichzeitig wurde der von Kopf bis Fuß in Landesfarben gekleidete und bemalte Fan erst salonfähig.
Flaggen konnte man nicht kaufen
Die drei Kirchehrenbacher Rainer Gebhardt, Markus Hofmann und Bernd Eismann erinnern sich an die Zeit, als nur Eigenorganisation und ein paar Ideen aus der Misere halfen. Für den 49-jährigen Gebhardt ist die WM 1990, als Deutschland in Italien den Titel holte, noch in lebhafter Erinnerung: "Es war das erste Turnier für das wiedervereinte Deutschland und wir, eine etwa siebenköpfige Truppe junger Burschen Anfang bis Mitte 20 aus unserem Ort, wollten mitfiebern. So fuhren wir mit dem Rad nach Forchheim, um uns mit Trikots, Fahnen oder Mützen auszustatten - doch es gab keine. Ein Shop, der T-Shirts für Rockgruppen anbot, besorgte uns Fahnen aus dem Nürnberger Hauptgeschäft. Wir waren so stolz damals auf unsere schwarz-rot-goldenen Flaggen." Auf dem Heimweg folgte eine Schrecksekunde: "Einer von uns hatte seine Fahne zu einem Turban gebunden und plötzlich stand an der Ampel die Polizei neben uns. Ein Beamter sagte, dass es uns eigentlich nicht erlaubt ist, Flaggen mit dem Bundesadler zu tragen und dies nur Amtspersonen und Behörden vorbehalten wäre. Sie ließen uns aber weiterradeln." Für Markus Hofmann war jene WM die eindruckvollste: "Nach dem 4:1-Auftaktsieg gegen den Geheimfavoriten Jugoslawien waren wir Feuer und Flamme." Das Kirchehrenbacher Sportheim wurde mit aus Bänken und Tischen errichteten Tribünen zum WM-Studio umgebaut, nur so konnten die weiter hinten sitzenden auf den für heutige Verhältnisse winzigen Röhrenfernseher einen Blick erhaschen.
Schwieriger wurde es, wenn man nach den Spielen außen seiner Freude freien Lauf lassen wollte: "Die heute üblichen Fanartikel gab es schlicht noch nicht zu kaufen", so Hofmann, "das Potenzial wurde damals wohl noch nicht ausgeschöpft, weil es zu jener Zeit seltsam anmutete, wenn da junge Leute mit Deutschlandfahnen herumzogen. Verboten war es nicht, aber auch wir wurden von manchem argwöhnisch angeschaut, was für eine Gesinnung man wohl hat."
Fußballfreunde vom VfB Forchheim, die in Mailand den denkwürdigen Auftakt erlebten, zogen mit selbst gebauten Trommeln ins Kirchehrenbacher Sportheim ein, erinnert sich Bernd Eismann. "Sie hörten nach ihrer Rückkehr aus Italien von unserem Aufwand und trommelten auf dreifarbig angemalten Blecheimern, die sie sich mit einer Schnur vor den Bauch gehängt hatten. Zudem brachten sie eine riesige, selbst gefertigte Stofffahne mit, die die gesamte WM über im Sportheim hing." Für den heute 47-jährigen Eismann war dies ein Signal, eine eigene Fahne zu organisieren: "Eine Bekannte nähte dann ebenfalls ein mehrere Quadratmeter großes Banner aus schwarz-rot-goldenen Leinenbahnen zusammen, die wir in einen Forchheimer Stoffladen kauften. Doch wir wollten uns auch bemalen, wie wir das im Fernseher bei den südamerikanischen Fans sahen." Also wurden aus dem Baumarkt handelsübliche Dispersions-Farben in schwarz, rot und gelb besorgt. Die Farbe in den aufgeschraubten Deckeln reichte aus, um das Gesicht mit den Fingern flaggenartig oder großflächiger zu schminken. "Als wir uns am Altstadtfest-Sonntag vor dem Achtelfinale gegen Holland gegenseitig unsere deutsche ,Kriegsbemalung' auftrugen, kamen mehrere Mütter zu uns an den Tisch. Sie baten, dass wir die Gesichter ihrer Kinder ebenfalls anmalen, was für alle Beteiligten ein großer Spaß war."
Nach dem siegreichen Finale am 8. Juli 1990 wurde die Straße in der Heimatgemeinde der Clique mit den restlichen Farben bemalt und der WM-Titel verewigt. Ein zufällig vorbeikommender Pressefotograf hielt diese Szene für die Zeitung fest - anders als die bemalten Fans war das Bild aber schwarz-weiß.