Die 68er - eine Zeit haariger Einschnitte
Autor: Eckehard Kiesewetter
LKR Haßberge, Montag, 24. Sept. 2018
Die Jugendbewegung war eine Kulturrevolution, die dem Friseurberuf schwer zusetzte. Männer aus dem Landkreis Haßberge berichten.
Eckehard Kiesewetter Kreis Haßberge — Thomas Wagner, Jahrgang 1955, erinnert sich, schon als Zwölfjähriger in Bamberg demonstriert zu haben. Auf seinem Plakat stand: "Wer zweimal mit derselben pennt, gehört schon zum Establishment" - der Slogan der Kommune 1. Wofür er sich da schon als Knilch auf die Straße traute, hat er später erst kapiert.
Als Schüler im Dientzenhofer Gymnasium bekam er mit, dass an der damaligen Pädagogischen Hochschule "ganz schön die Post abging". Da konnte es schon passieren, dass Möbel zum Fenster rausflogen. Er selbst organisierte mit Mitschülern Zeugnisverbrennungen oder Demonstrationen im "Kampf dem Sportfaschismus".
Wagner, früherer Stadtrat und Betreiber eines Caféhauses in Ebern, gehört jener Altersgruppe an, die in den Protest hineinwuchs: "Anfangs hatten wir keine Ahnung, worum es ging", gesteht er, "aber wir haben halt mitgemacht."
Aufs Land geschwappt ist das Aufbegehren gegen Tradition und Konservatismus erst mit Verzögerung. Dort lebte sich die 68er-Bewegung - und was danach kam - nicht auf der Straße aus, nicht mit Radau und Protest. Eher im Stillen, in Kneipen, Wohngemeinschaften, bei Feten ... und ganz speziell im äußeren Erscheinen. Jeans, Jesuslatschen und Batikhemd waren angesagt und ungezähmte Mähnen.
"Die langen Haare waren unheimlich wichtig", sagt Thomas Wagner, "erst recht als Student dann, da gingen sie bei mir runter bis zum Arsch. Ich bin damals rumgelaufen wie ein Terrorist - rein optisch".
Tiefe Einschnitte
Von der Kulturrevolution, die sich in langer Haarpracht auswuchs, kann auch Hubert Brückner erzählen. In jungen Jahren hatte er als Friseur im Bundeshaus in Bonn die politische Prominenz bedient, Willy Brand, Theodor Heuß, Franz-Josef Strauß und einmal sogar Konrad Adenauer, den Kanzler persönlich. Das waren noch Haarschnitte!
Und jetzt das? Das Fernbleiben der Kundschaft bedrohte die gesamte Branche. "Das war ein echter Einschnitt", erinnert sich der 85-Jährige, der seinen Salon in Ebern 1959 eröffnet hatte. Als die Woodstock-Stars Joe Cocker, Carlos Santana oder Jimmy Hendrix den Ton auf den Plattentellern angaben, war der Wildwuchs nicht zu bremsen.