Deutsch aus Furcht vor dem Brexit
Autor: Eckehard Kiesewetter
LKR Haßberge, Donnerstag, 19. April 2018
Drei Briten, die seit vielen Jahren im Landkreis leben, genießen seit Mittwoch die doppelte Staatsbürgerschaft. Als Vorsichtsmaßnahme.
Eckehard Kiesewetter
Adrian Price lebt seit 1966 in Deutschland, seine Frau Chris Atkinson-Price immerhin sei 22 Jahren. Seit dem vergangenen Mittwoch sind die beiden Briten deutsche Staatsbürger. Unsicherheit im Zusammenhang mit dem Brexit, dem Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union, hat sie dazu veranlasst, die Einbürgerung zu beantragen. Bei einem kleinen Zeremoniell im Landratsamt in Haßfurt nahmen die beiden Hohnhäuser und Reverend Alan Stockbridge, ein Engländer, der in Ebern lebt, ihre Urkunden in Empfang.
"Ich habe mich in all den Jahren immer vor allem als Europäer gefühlt, nicht speziell als Engländer oder Deutscher, sagt Adrian Price. Er sei "kein großer Patriot", komme auch in Spanien, Dänemark oder Frankreich zurecht. "Aber hier lebe ich nun mal am längsten. Bisher war eigentlich alles einwandfrei", befindet der "Neubürger".
Zukunftsängste
"Der Brexit hat alles durcheinander gewürfelt". Price schildert die Nöte, in welche die Eheleute durch die britische Entscheidung, aus der Europäischen Union auszutreten, geraten sind. Die Unsicherheit über die Absicherung im Alter. Er selbst, gelernter Landwirtschaftsmeister und Fotograf und über viele Jahre als Druckvorlagenhersteller bei einer Zeitung in Hofheim beschäftigt, ist in Deutschland "ganz normal" kranken- und rentenversichert. Seine Frau Chris hingegen war im Bereich Sozialwesen bei der britischen Armee beschäftigt, hat zwar in der Bundesrepublik gearbeitet, war aber als Angehörige der Streitkräfte in England krankenversichert. Auch bezieht sie ihre Beamten-Pension von der Insel. Niemand weiß heute, wie es weitergehen wird, wenn der Brexit zum Ende kommenden Jahres tatsächlich Realität wird.Aktuell gilt ein Abkommen in den EU-Ländern, wonach Ausländer in dem Land von der Krankenkasse betreut werden, in dem sie leben. "Doch was, wenn das Abkommen nach dem Brexit nicht mehr besteht?", fragt Price, der selbst im Juni 72 Jahre alt wird, seine Frau ist 69: "Problem ist die Gesundheitssache. Im Alter ist es schwer, eine Krankenversicherung abzuschließen". Zudem verliere seine Frau durch den Kursverlust des Pfunds monatlich im Schnitt 500 Euro, erzählt Price. Die beiden sind seit 2002 verheiratet, haben sich ein Haus in Hohnhausen gekauft. "Wir haben uns hier ein Leben aufgebaut", sagt er, eine Rückkehr nach England sei keine Option.
Seine Frau werde regelrecht "fuchsteufelswild" - ein Wort, das mit britischem Akzent besonders verwegen klingt - , wenn sie zurzeit über die britische Politik spricht. Sie war sogar in Großbritannien, um an Demonstrationen gegen den Brexit teilzunehmen. Price findet schockierend, wie allein schon der drohende Austritt aus der EU viele Briten an den Rand der Existenz treibt und wie sich Ausländerfeindlichkeit auf der Insel breitmache.
Bürokratische Mühlen
Die Einbürgerung am Mittwoch war für die Eheleute Price der Höhepunkt, "ja die Krönung" einjähriger Bemühungen. Dazwischen stand viel Bürokratie. Vor allem aber mussten die Bewerber dreimal zu Einführungskursen nach Schweinfurt fahren und zwei Prüfungen absolvieren. Dabei ging es um die "Kenntnisse der Rechts- und Gesellschaftsordnung und der Lebensverhältnisse in Deutschland". Die Eheleute wurden behandelt wie Migranten, die erst vor acht Jahren hierher kamen. "Trotzdem", heißt es in der Einbürgerungsrede," die Josef Fuchs am Mittwoch für insgesamt sieben Neu-Staatsbürger hielt, "sollten Sie den heutigen Tag nicht in erster Linie als behördlichen Akt wahrnehmen, sondern vielmehr als formelle Anerkennung Ihres Hineinwachsens in die deutschen Lebensverhältnisse". Nach 52 Jahre im Land empfand's Adrian Price dennoch als unverständliche Tortur. Er ist längst integriert, hatte zum Beispiel schon 1976 für den Hofheimer Stadtrat kandidiert und war immerhin zu einem Ersatzmann gewählt worden. "Aber jetzt ist es ja vorbei", wischt er den Frust beiseite, "jetzt ist mir das wurst!"
Der denkwürdige Moment im Landratsamt ist für den Briten dann "nicht ganz so pompös" ausgefallen, wie gedacht. Kein großer Bahnhof. Alles ganz formell. Vor Josef Fuchs, beim Landratsamt für öffentliche Sicherheit und Ordnung und damit für Einbürgerungen zuständig, gaben die Neubürger das Bekenntnis ab, die bayerische Verfassung und das Grundgesetz achten zu wollen. Er übergab ihnen Urkunden, die sie als deutsche Staatsbürger ausweisen.
"Alles sehr schön und freundlich, sehr sympathisch", sagt Alan Stockbridge, der ebenfalls seit Mittwoch die doppelte Staatsbürgerschaft besitzt. Der Reverend der anglikanischen Kirche hat seit seiner Jugend, als der Oberprimaner bei einem Schüleraustausch erstmals über den Kanal kam, enge Beziehungen nach Deutschland. Als Militärpfarrer hatte er etwa 20 Jahre lang in Norddeutschland gearbeitet, ehe er und seine deutsche Frau Erika vor 14 Jahren nach Ebern kamen. Hier unterstützt er im Geist der Ökumene die beiden Kirchengemeinden, evangelisch und katholisch. Seine Einbürgerung bezeichnet der 84-Jährige als "Vorsichtsmaßnahme", denn "man weiß ja nicht, wie es mit dem Brexit weitergeht". Beide Kinder der Stockbridges haben seit Jahren die doppelte Staatsbürgerschaft.
Eine Aufnahmeprüfung, wie sie die Eheleute Price über sich ergehen lassen mussten, blieb dem Kirchenmann erspart. Er hat vor Jahren ein Buch über die Kirche von England in deutscher Sprache verfasst, das als Nachweis seines "Deutsch-Seins" anerkannt wurde.
Die Einbürgerungsurkunde liegt noch in seiner Aktenmappe. "Das ist noch ganz neu", sagt er. "Ich lebe sehr gerne hier und ich freue mich, jetzt ein Deutscher zu sein. Aber: "Ich fühle mich an erster Stelle als Christ".