Der Wunsch nach Überschaubarkeit
Autor: Markus Häggberg
Lichtenfels, Freitag, 30. August 2019
Alles begann damit, dass ich vor drei Tagen am Geldautomaten stehend in eine Krise geriet. Während ich Geld vom Konto abhob, erinnerte ich mich eines um den Jahreswechsel getroffenen Sparvorsatzes, an...
Alles begann damit, dass ich vor drei Tagen am Geldautomaten stehend in eine Krise geriet. Während ich Geld vom Konto abhob, erinnerte ich mich eines um den Jahreswechsel getroffenen Sparvorsatzes, an dem ich schon im Februar scheiterte. Meine Oma würde da nur den Kopf schütteln, aber Oma hatte leicht reden, stammte sie doch aus einer Welt, in der einem nicht immer und überall Angebote, Schnäppchen und Mitnahmepreise winkten. Zudem gab es zu ihrer Zeit in Lichtenfels mit Hängen und Würgen nur ein Hamburgerlokal, heute gibt es derer fünf. Heute würde Oma pro Altersfleck einen Schlaganfall bekommen, wenn sie noch miterleben müsste, wie oft mir Hamburgerlokale begegnen.
Und dann steht man schon mal an Geldautomaten und wünscht sich einfachere Zeiten wieder, meinetwegen auch mit Hausmannskost. Als Oma noch Eintöpfe machte, gab es noch kein Internet, der Russe stand noch vor der Tür und da stand er gut, es gab nur zwei Supermächte, was Peter Scholl-Latour sagte, war Gesetz, und wenn ein Kind in der Klasse dick war, dann war es die Ausnahme. Jetzt aber stand ich am Geldautomaten und war frustriet, weil ich Ketchup einkaufen sollte, mich aber nicht mehr genau an die Geschmacksrichtung erinnerte. War es Ketchup mit Ingwer-Kurkuma? Mit Curry? Mit Himalayasalz? Mit Barbecue-Geschmack? Mit Röstzwiebel-Vanille? Mit Knoblauch? Mit Zigeunersauce? Doch plötzlich durchfuhr mich ein Gedankenblitz. Er gab mir ein Wortgebilde ein, welches mir zwei Gefühle gab. Zum einen das, selbst etwas gegen eigene Krisen tun zu können, und und zum anderen einen herausragenden Werbeslogan gefunden zu haben. Erst sprach ich ihn in Gedanken aus, dann wollte ich ihn hören. Ich blickte also um mich, zu sehen, ob da nur ja kein Lauscher steht, der ihn hören könnte. Dann ließ ich ihn mir auf der Zunge zergehen. Einmal, zweimal, zehnmal. Ui, dachte ich mir, den könntest du vielleicht sogar zu Geld machen und vielleicht ginge patentrechtlich was. Also fuhr ich heim und rief einen Kumpel an, der als Werbefachmann arbeitet und meines Wissens mit derlei Dingen schon zu tun hatte. Wie das Telefon so tutete, überlegte ich mir eine Strategie und kam mit mir überein, mit der Tür nicht gleich ins Haus zu fallen. Immerhin gehört zu jedem Geschäftsgespräch ja eine Warmwerdephase, in der man Floskeln austauscht und Interesse an Privatem und Persönlichem heuchelt. So erkundigte ich mich nach seinem Befinden und er erzählte mir doch glatt, dass sein Problem seit einigen Tagen darin besteht, seiner neunmalklugen neugierigen Tochter zu erklären, was die 60 Geschlechter, von denen sie gehört hatte, so ausmacht, was die so können und ob die Babys jetzt von woanders herkommen. Und das alles könne er dem Kind nicht erklären, weil er es ja selber nicht versteht. Zudem blicke er bei der Steuergesetzgebung nicht mehr durch und seine Steuerberaterin habe letztlich so eine Bemerkung gemacht, wonach es ihr genauso gehe.
Schlagartig wurde mir vor Augen geführt, wohin heutzutage eine bürgerliche Existenz führen kann. Endlich kam ich auf mein eigentliches Anliegen zu sprechen und war gespannt auf die Einschätzung meines Kumpels bezüglich der Qualität des Slogans und finanzieller Erfolgsaussichten. "Der Spruch kann schon ordentlich Geld bringen, falls eine Firma eine Werbekampagne startet und er da reinpasst", sagte mein Kumpel. Ein Werbespruch von dieser Qualität könne locker fünfstellig bezahlt werden. Aber man sollte ihn patentieren und schützen lassen, oder zumindest recherchieren, ob es diesen Werbespruch schon gibt. Die dazu notwendige Adresse suchte er mir jedenfalls raus. "Meiner Erinnerung nach ist das doch recht einfach", erklärte mein Kumpel mir und lobte mich überschwänglich, weil mir da womöglich was gelungen wäre. Ich war ob all des Gehörten nicht direkt selig, aber ich sah ein Ende der Krise und jede Menge Hamburger.
Darauf bekam ich Lust, noch ein wenig durch die Gegend zu radeln, leicht beschwingt und kunstvoll Schlangenlinien vollführend, weil ich dem Leben zugute hielt, dass es womöglich doch ein freundlicher Ort sei und weil eine blinde Kuh ja auch mal einen Mann findet, oder wie das alte Sprichwort heißt. So rief ich anderntags bei diesem Amt an, meinen Werbespruch aufsagend. Er soll einmal eine Süßigkeitenfirma dabei unterstützen, ihre Kalorienbomben möglichst sympathisch darzustellen. Welche Süßigkeiten das zu sein haben, ist ziemlich egal, der Slogan ist allgemein genug und hat eher was mit guter Laune zu tun. Aber das deutsche Amt sah das anders und wies mich darauf hin, dass gute Laune nicht gleich gute Laune sei und eingeordnet werden müsse. Dann wies mich der Sachbearbeiter darauf hin, dass ich mich gegen Geld (dreistellig) auf der Internetseite des Amts umtun und meinen Werbespruch anmelden könne, allerdings sollte ich diese und jene Punkte und deren jeweilige Unterpunkte durchlesen. Schließlich müsse alles seine Ordnung haben und der Spruch einer Kategorie beigeordnet werden. Es ging auf der Webseite sehr gründlich zu und sie wollte von mir wissen, ob mein Spruch auf Gebäck zutrifft. Falls ja, dann womöglich auf Brezeln? Falls ja, dann auf Salzbrezeln oder Brezeln aus Weizenmehl, aus Dinkelmehl, aus Roggenmehl, aus Biomehl? Mit Salz bestreut oder ohne? Falls ja, dann großkörnig oder feinkörnig? Falls mein Slogan aber zu Reiswaffeln passt, dann hätte ich auszusuchen, ob zu Reiswaffeln mit Vollmilchüberzug, ob zu Reiswaffeln mit dunkler Schokolade, ob zu Reiswaffeln aus fairem oder nicht so fairem Handel. Und falls Schokolade der Hauptbestandteil sei, passt mein Spruch dann eher auf Tafelschokolade oder Riegel? Falls er auf Riegel passt, dann auf welche mit oder ohne Karamell, auf solche, die man eher im Gehen oder im Stehen verzehrt? Oder passt mein Spruch womöglich zu Eis? Wenn ja, dann zu Wassereis oder zu Milcheis? Falls zu Milcheis, dann zu Milcheis mit Schokostückchen oder ohne? Zu Milcheis mit Waffeln oder ohne? Zum Milcheis mit Früchten oder ohne? Und wenn Früchte, dann heimische oder exotische? Die Konkretisierungen und Eingrenzungen wollten kein Ende nehmen. Sechs Stunden lang klickte ich mich durch all die Punkte und Unterpunkte im Menü der Amtswebseite, dann gab ich auf. Aber auch das war nicht einfach.