Der tote Leutnant vom Staffelberg
Autor: Matthias Einwag
Bad Staffelstein, Dienstag, 05. Januar 2016
Am 13. Januar jährt sich der Flugzeugabsturz auf dem Bergplateau zum 80. Mal. 1936 waren dabei vier Menschen ums Leben gekommen. Einer der Toten ist der Leutnant Rudolf Harnier, dessen genauer Name bisher nicht bekannt war.
           
Matthias Einwag
 
  Eine Junkers W 34 der jungen deutschen Luftwaffe ist an diesem nebligen 13. Januar 1936 über dem Maintal unterwegs. In der Maschine, die der 3. Staffel des Kampfgeschwaders 455 in Giebelstadt angehört, sitzen fünf Menschen. Der Pilot, Hauptmann Wolf Freiherr von Gültlingen, fliegt auf Sicht. Der Höhenmesser ist vereist, der 25-Jährige orientiert sich an der Topographie, am Flusslauf des Mains. Mit der im Nebel verborgenen Felskrone des Staffelbergs hatte er nicht gerechnet. Die knapp 18 Meter lange Junkers ist etwa 100 km/h schnell. Sie prallt gegen den Hang und überschlägt sich auf dem Hochplateau. Nur wenige Meter müssen gefehlt haben, um über den Berg hinweg zu kommen. Die zerfetzte Maschine bleibt auf dem Plateau liegen. Der Pilot und der 23-jährige Leutnant Rudolf Harnier sind sofort tot. 
Der 25-jährige Leutnant Karl Hermann Kurt von Plüskow und der 26-jährige Unteroffizier Peter Zapf sterben kurz darauf. Der Name und das Schicksal des fünften Mannes, der überlebt hat, ist bis heute unbekannt.
Nicht genau bekannt war bislang auch der Nachname von Rudolf Harnier, denn der Anfang des handschriftlichen Eintrags auf der Sterbeurkunde war unleserlich: "Scharnier" mit Fragezeichen stand bis dato in den Akten.
  
  Neffen besuchen den Unglücksort
 
 Kürzlich aber suchte ein Neffe des verunglückten Leutnants Bad Staffelstein auf und erkundigte sich bei Archivarin Adelheid Waschka nach seinem Onkel: Axel Harnier ist Sohn des jüngeren Bruders des Verunglückten. 
Sein Cousin Otto Harnier (Sohn des älteren Bruders), der heute in Brüssel lebt, und er bringen nun Licht ins Dunkel der Geschichte."Ich bin am ersten Wochenende im vergangenen November in Lichtenfels zu einer Taubenausstellung gewesen - Bundesschau der Kingtauben, deren Zucht mein Hobby ist -, und war während dieser Zeit im Hotel "Zur schönen Schnitterin" in Romansthal", schreibt Otto Harnier auf Anfrage unserer Zeitung. "Von da aus habe ich den Gang hinauf auf den Staffelberg gemacht, in mich gekehrt, grüblerisch: Was für einen Einfluss hätte ein Weiterleben meines Onkels auf mein eigenes Leben gehabt? Schließlich muss er ein besonderer Mensch gewesen sein." Als Primaner am Domgymnasium von Fulda, fährt Otto Harnier fort, habe sein Onkel Rudolf kurz vor dem Abitur einem Lehrer eine runtergehauen, weil der ihn beleidigte. Er hatte ihn einen Drecksbauern genannt, obgleich er doch vom Gut Künzell kam. Dieser Vorfall hätte ihn fast das Abitur gekostet, doch man arrangierte sich, weil besagter Gymnasialprofessor als "Sozialist" bekannt war.
In Görings Luftwaffe stand ihm eine glänzende Karriere bevor, denn er galt als talentierter und schneidiger Pilot, der ab und zu einmal mit seiner Ju nach Künzell zu Besuch kam und dort auf einem Stoppelacker landete und startete, schreibt Otto Harnier. "Er wurde jedenfalls sehr verehrt, bis hin zur Legendenbildung. So soll er einmal unter einer Hochspannungsleitung durchgeflogen sein, ein andermal soll er mehrfach die Türme des Fuldaer Doms umkreist haben."
Gezeigt habe sich diese Verehrung auch bei "der riesigen Beerdigung, über die in Künzell und Fulda noch lange gesprochen wurde, zumal Göring angeordnet hatte, dass eine Staffel von Rudolfs Fliegerkameraden dreimal im Tiefflug über dem offenen Grab Salut flogen". Der Neffe weiter: "Bei den Frauen muss er übrigens auch einen Stein im Brett gehabt haben, denn zu dieser Beerdigung kamen gleich zwei, die sich für seine Verlobte hielten."
"Das Wenige, was ich weiß, hat mir meine Mutter erzählt, die damals die Beerdigung organisierte", schreibt Otto Harnier. Von ihr wisse er auch, dass die Großmutter nach dem Unglück wochenlang wie in Trance gelebt habe und kein Wort sprach. "Rudolf muss wohl ihr Lieblingssohn gewesen sein. Sie wollte auch später nie über diesen Verlust sprechen."
  
  Ein Foto erinnert an den Onkel
 
Ein Kult sei nicht um den toten Flieger gemacht worden, so Otto Harnier weiter. "Wohl aber habe ich sowohl bei meinen Eltern als auch bei meinem Onkel Otto ein großes schönes Foto von ihm gut sichtbar aufgehängt gesehen. 
Das von meinen Eltern ist jetzt bei mir und hängt in meiner Study, memento mori."Seine Mutter habe zudem einige Male erwähnt, Rudolf sei ein ausgezeichneter Tänzer gewesen und habe auch besser reiten können als seine Brüder - die beide sehr gute Reiter waren, wie er aus eigener Erinnerung wisse. Rudolf sei feinfühliger mit den Pferden umgegangen.
"Meinen Großvater habe ich nicht erwähnt. Er war Berufsoffizier, deutschnational wie die ganze Familie, und hat den Tod seines Sohnes entsprechend ertragen: Es war im Dienst am Vaterland geschehen. Darüber reden wollte er nicht. Einmal hat er mich, da war ich vielleicht 15 , im Wald zu einer Eiche geführt und mir gesagt, hier habe er mit Rudolf immer gefrühstückt, wenn sie morgens, ganz früh, zusammen auf die Jagd gegangen seien. Die Eiche gibt es nicht mehr, aber die Sandsteine, die die beiden um diese Eiche herum zusammengetragen haben, müssten noch zu finden sein. Ich muss mal wieder hin..."
Über die Zusendung der FT-Berichte aus den Jahren 2013 und 2014 freute sich Otto Harnier sehr. "Zuletzt noch ein Dankeschön, dass Sie sich - zusammen mit meinem Vetter Axel - dieses Themas angenommen haben und dadurch auch in mir wieder einiges aus der Versenkung geholt haben. Es ist ja schon so lange her und - buchstäblich - so weit weg. Besonders gut hat mir getan, zu erfahren, dass nicht Rudolf Harnier der Unglückspilot war. Das wusste ich bisher nicht, dachte eher, er und seine Kameraden seien Opfer seines fliegerischen Wagemuts geworden."
Otto und Axel Harnier wollen bald schon an den Obermain reisen. Sie möchten einen der letzten Zeitzeugen treffen, den in Bamberg lebenden 89-jährigen Elmar Dippold. Er wohnte 1936 in Romansthal und erinnert sich noch gut an den 13. Januar 1936: "Das hat einen Schlag getan, als wäre die Welt untergegangen", berichtete er dem FT. Viele Leute rannten damals auf den Berg - die meisten aber zunächst in die falsche Richtung, denn der dichte Nebel raubte die Orientierung. Das Flugzeug sei total zerfetzt gewesen, überall lagen Trümmer und Koffer - mittendrin die Schwerverletzten und die Toten.