Der Terror war näher als gedacht
Autor: Eckehard Kiesewetter
LKR Haßberge, Donnerstag, 01. März 2018
Ingrid Schubert, Gründungsmitglied der Baader-Meinhof-Bande und der Rote Armee Fraktion, wuchs in den Haßbergen auf. Auch Bad Königshofen und Bad Kissingen wurden zu Stationen der Terroristin.
           
Eckehard Kiesewetter
 
   Der "deutsche Herbst" im Jahr 1977, eine besonders düstere und blutige Phase in der Geschichte der Bundesrepublik, ist unvergessen. Die Plakate, mit denen damals nach Terroristen der Rote Armee Fraktion (RAF) gefahndet wurde, hingen in jedem öffentlichen Gebäude, jeder Postfiliale. Polizeibeamte, mit schusssicheren Westen und Maschinengewehren bewaffnet, gehörten zum Alltag der Menschen in der Republik. 
Die Rasterfahndung ließ die Peripherie nicht aus, auch nicht das scheinbar so unbeschwerte flache Land. Wie nahe der Terror der 70er Jahre den Menschen in Unterfranken und im Kreis Haßberge war, wissen wohl die wenigsten. 
Ingrid Schubert, eines der Gründungsmitglieder der Baader-Meinhof-Bande, wurde 1944 in Ebern geboren und wuchs in Maroldsweisach auf. Wie in so vielen ihrer Gesinnungsgenossen hatte sich in der Medizin-Studentin Wut aufgestaut. Wut auf ihre Herkunft als Tochter eines Nazi-Vaters, gegen den deutschen Staat und den amerikanischen Imperialismus. In der Gruppe wuchsen daraus Gewaltbereitschaft und Hass. Schubert war 1970 an der Befreiung des Terroristen An-dreas Baader beteiligt; sie wurde bis zu ihrem Tod zum Kern der Terrorgruppe gezählt.
Der gebürtige Oberbayer Baader übrigens hatte zeitweise das Gymnasium in Bad Königshofen besucht. Dort wurde auch Sieglinde Hofmann geboren, die im Grabfeld aufwuchs in Bad Königshofen zur Schule ging und ihre Ausbildung machte. Sie wurde zu einer der Leitfiguren der zweiten RAF-Generation, der Generation des "deutschen Herbsts".
 Aus der Studentenbewegung heraus verübte eine Gruppe, die später als Baader-Meinhof-Bande bekannt wurde, im April 1968 als Protest gegen den Vietnamkrieg Brandanschläge auf zwei Frankfurter Kaufhäuser. Der Anführer Andreas Baader wurde inhaftiert. Weil sie blutig endete, gilt seine Befreiung im Mai 1970 durch Gudrun Ensslin, Ingrid Schubert und die Journalistin Ulrike Meinhof als Geburtsstunde der RAF.
Die Terroristen tauchten ab, ließen sich den Sommer über in einem palästinensischen El-Fatah-Camp in Jordanien militärisch ausbilden. Zurück in Deutschland begann ein jahrelanges Katz-und-Maus-Spiel mit der Polizei.
 Ein Versteck fand die Gruppe in Bad Kissingen in der Bergemannstraße. Dort suchten Andreas Baader, Gudrun Ensslin, Jan Carl Raspe, Holger Meins, Ulrike Meinhof und andere für einige Tage in einem ehemaligen Sanatorium Unterschlupf. Im Kissinger "Haus Sanitas" wurden Pläne geschmiedet. Es sei die Rede davon gewesen, so wurde 1972 aufgrund einer Gerichtsakte bekannt, Prominente zu entführen, um politische Gefangene freizupressen. Verleger Axel Springer, Franz Josef Strauß und der damalige Bundeskanzler Willy Brandt wurden als mögliche Ziele von Entführungen ins Augen gefasst. 
Mehrere RAF-Mitglieder sollen im Dezember 1970 mit ihrem Wagen inmitten von Bad Kissingen unweit einer Bahnunterführung liegengeblieben sein. Zwei Mechaniker eines örtlichen Autohauses schleppten das Pannenauto ab. Wem sie da geholfen hatten, sollten sie erst Jahre später erfahren.
  
   "Kommando Ingrid Schubert"
 
Von Unterfranken aus brach die Gruppe zu neuen Taten auf: Zwischenzeitlich hatte man zahlreiche Banken ausbaldowert; Überfälle sollten Geld für neue Aktivitäten bringen. Im September überfielen RAF-Mitglieder zeitgleich drei Banken in Berlin. Ingrid Schubert, Deckname "Nina", fuhr eines der Fluchtautos. Wenige Tage später wurde sie in Berlin verhaftet und später zu einer Gesamtstrafe von 13 Jahren Haft verurteilt. Im Deutschen Herbst versuchte die zweite Generation der RAF vergeblich, Schubert und andere aus der Haft freizupressen. Der Terrorismus gipfelte in einer Serie von Anschlägen mit der Entführung und Ermordung des Arbeitgeberpräsidenten Hans Martin Schleyer, der Entführung des Lufthansa-Flugzeugs "Landshut" und den Selbstmorden der inhaftierten führenden RAF-Mitglieder. Im November 1977 nahm sich auch Ingrid Schubert in ihrer Zelle im Gefängnis München-Stadelheim das Leben.
Noch einmal tauchte Schuberts Name im Oktober 1986 im Zusammenhang mit der RAF auf: Gerold von Braunmühl, Abteilungsleiter im Auswärtigen Amt, wurde vor seinem Wohnsitz in Bonn erschossen. Zu dem Anschlag bekannte sich ein "Kommando "Ingrid Schubert".
klaus Schmitt
Als Norbert Mohr noch ein ganz junger Mensch war, hatte er schon sichere Vorstellungen von seinem späteren Berufsleben. "Ich wollte Musiker werden", erinnert sich der heute 60-Jährige. An der zweiten Stelle auf der Wunschliste stand der Lehrerberuf. Und geworden ist er schließlich: ein Polizist. Ein Freund hat ihn dazu gebracht, dass er diese Karriere einschlug. Mohr leitet die Polizeiinspektion in Haßfurt; er hatte seine Ausbildung genau in dem Jahr begonnen, in dem das Land sich dem schlimmsten Terror der RAF ausgesetzt sah: 1977 war das.
  
  Richtige Entscheidung
 
War das die richtige Entscheidung? Der Terror der RAF "hat mich nicht abgehalten", Polizist werden zu wollen. "Das ist genau mein Beruf", sagt der 60-Jährige - damals wie heute. Der Polizeichef vergleicht den "heißen Herbst" 1977 mit der Situation heute, in der die Menschen sich dem islamistischen Terror ausgesetzt sehen. Norbert Mohr: "Es sind einzelne Nadelstiche, die weh tun. Aber die Wahrscheinlichkeit, dass du getroffen wirst, ist sehr gering."
  
  Zunächst ohne Waffen
 
An vorderster Front bei der Bekämpfung des RAF-Terrors stand Norbert Mohr damals zu Beginn seiner Ausbildung noch nicht. Die angehenden Polizisten durften nicht dort eingesetzt werden, wo ein Risiko zu erwarten war. Und: Im ersten Ausbildungsjahr "hatten wir noch keine Waffen". Das war bei der Polizei grundsätzlich so geregelt, weiß Mohr.
Im zweiten Ausbildungsjahr war es schon etwas anders. Die jungen Polizisten wurden für Einsätze eingeteilt. Allerdings waren das Aufgaben, die wenig Risiko bargen, oder Orte, an denen schon etwas passiert war. Norbert Mohr erinnert sich zum Beispiel an Einsätze beim Münchner Oktoberfest.