Der Tag, an dem das Ehrenamt streikt
Autor: Hans Kurz
LKR Bamberg, Freitag, 01. März 2019
Vielen Menschen ist nicht bewusst, dass ehrenamtliches Engagement ein Grundpfeiler unser Gesellschaft ist. Was wäre also, wenn niemand mehr die diese verantwortungsvollen Aufgaben übernimmt? Eine fiktive Geschichte.
Hans Kurz Die Hümmers sind geradezu eine Bilderbuchfamilie: Vater, Mutter und zwei Kinder, dazu eine Oma, die im Nachbardorf wohnt. Mutter Anna (42) arbeitet als Architektin in einem Büro in Hirschaid, Vater Michael (45) ist Lehrbeauftragter an der Uni. Er verdient weniger, hat aber dafür mehr Zeit sich um die Kinder und den Haushalt zu kümmern. Tochter Lea (12) besucht in Bamberg das Gymnasium, Sohn Lukas (9) geht noch zur Grundschule im Ort. Oma Emma (73) kümmert sich oft um die beiden Kinder, wenn ihr Sohn Michael keine Zeit hat.
Familie Hümmer genießt das gemeinsame Frühstück. Das gehört für sie einfach dazu. Doch danach trennen sich die Wege. Als erste verlassen Mutter Anna und Lea das Haus. Anna müsste zwar nicht so früh zu arbeiten anfangen, doch der Bus nach Bamberg fährt nur zu dieser einen frühen Stunde. Am Bahnhof steigt Anna in den Zug um und Lea in den Stadtbus. Inzwischen hat sich auch Lukas auf den Fußweg zur Schule gemacht, während Michael noch das Frühstücksgeschirr wegräumt, um danach ein paar Familienangelegenheiten zu erledigen. Ein Tag wie viele andere.
Zunächst merkt Lukas, dass etwas nicht stimmt. An der Straße, die er überqueren muss, steht kein Schulweghelfer. Eine Ampel gibt es nicht. Für Lukas kein Problem, aber da sind auch noch ein paar Kleine, die sich nicht trauen, und andere, die plötzlich losrennen. Lea ist inzwischen im Gymnasium angekommen. Heute sollen die Tutoren aus der Oberstufe den Sechstklässlern die verschiedenen Arbeitsgruppen an der Schule vorstellen. Lea interessiert besonders die Theatergruppe. Doch da hängt nur ein Zettel an Türe: "Wir streiken! - die Tutoren."
Manches Ehrenamt ist Pflicht
Anna wird im Büro von ihrer Chefin gebeten, zum Gericht zu gehen, um einen Prozess zu verfolgen, bei dem ein Architekt vom Auftraggeber verklagt wurde. Bei Gericht muss Anna feststellen, dass die Verhandlung ausfällt. "Warum?", fragt sie einen Menschen in schwarzer Robe, der gerade den Saal verlässt. "Die Schöffen sind nicht da. Sie streiken ", sagt er. "Ja dürfen die das?", will Anna wissen. "Nein, aber sie tun es trotzdem."
Zu Hause macht sich Michael auf den Weg. Zunächst will er die ausgeliehenen Bücher in die Gemeindebücherei zurückbringen. Doch dort angekommen steht er vor verschlossenen Türen. Er schaut noch mal auf dem Handy Datum und Uhrzeit nach. Eigentlich müssten die sonst so eifrigen und zuverlässigen Damen vom Büchereiteam jetzt da sein. Michaels nächstes Ziel ist das Rathaus, wo die Seniorenbeauftragte der Gemeinde ihre wöchentliche Sprechstunde hat. Er will sich erkundigen, worauf bei einem Umbau des Hauses zu achten ist, wenn er vielleicht einmal seine, nach einer Hüftoperation gehbehinderte Mutter bei ihnen einziehen soll. Doch auch die Seniorenbeauftragte ist nicht da. Michael ruft noch beim Kassierer seines Sportvereins an, um nach einer Bescheinigung fürs Finanzamt zu fragen. Der Kassierer nimmt den Anruf auf seinem Privattelefon entgegen, aber als hört, worum es geht, sagt er nur: "Heute kein Ehrenamt."
Die Katze auf dem Baum
Michael dämmert was. Und er wundert sich schon nicht mehr, als seine Mutter ihn anruft, um ihm mitzuteilen, dass sie am Nachmittag nicht nach den Kindern schauen kann. Das Bürgermobil der Gemeinde fährt heute nicht.
Da kann er sich das abendliche Training der Altherrenfußballer wohl auch knicken, wenn der Trainer ebenfalls streikt. Ohne ihn kommen sie ja nicht mal in die Sporthalle und an die Bälle. Aber das ist jetzt egal. Für Michael wird die Zeit knapp. Er muss in sein Seminar. Was tun mit den Kindern, die bald nach Hause kommen?