Druckartikel: "Der Mut, auszuprobieren"

"Der Mut, auszuprobieren"


Autor: Harald Rieger

Bamberg, Sonntag, 24. Sept. 2017

Martin Haag ist Verkehrsplaner und Bürgermeister in Freiburg im Breisgau. Er erläutert im Interview Verkehrsstrategien - und wagt einen Blick nach Bamberg.
Die 2016 veröffentliche Simulation zeigt Baumtore, die im Zuge der Umgestaltung der Langen Straße den Eingang markieren sollen.  Foto: Stadt Bamberg/Stadtplanungsamt


Was haben die Stadt Freiburg im Breisgau und Bamberg gemeinsam? Beides sind aufstrebende Städte, die boomen, und beides sind Sport- und Universitätsstädte. Daher lohnt ein vergleichender Blick ins Baden-Württembergische. Im Interview gibt der Freiburger Verkehrsplaner und Bürgermeister Martin Haag Einblicke in Verkehrsstrategien, die auch für Bamberg ein Thema sein könnten.

Sie haben Möglichkeiten genutzt, den Radverkehr auszubauen, den ÖPNV attraktiv zu machen und den Autoverkehr zu verringern. Wo könnte Bamberg ansetzen?
Martin Haag: Sie haben eine sehr schöne Innenstadt - die übrigens sehr wichtig ist, weil gerade deswegen viele Leute kommen. Sie ist etwas, was Bamberg auszeichnet. Nicht vergessen werden darf das UNESCO-Weltkulturerbe. Hier sollte man sagen: Das, was wir hier erreicht haben, sollten wir auch in die Außenbereiche bringen. Das könnte eine Lösung sein. Und man sollte immer schauen: Wie geht man mit der Region um? Ich glaube, auch hier handelt es sich um eine sehr ländlich geprägte Region, in der sehr viel Auto gefahren wird. Was kann man den Menschen für Lösungen anbieten? Denn einfach zu sagen, es darf kein Auto mehr gefahren werden, funktioniert nicht. Man muss Alternativen wie Bus- oder eventuell Bahnverkehr aufzeigen.

In Bamberg wird immer wieder über zu schnell fahrende Autos geklagt. Wie könnte die Stadt gegen diese "Raser" vorgehen?
Das Raser-Thema ist sicherlich etwas, was man sich differenziert anschauen muss. Es geht um die Fragen: Welche Geschwindigkeit möchte ich haben und was kann ich dafür tun, damit sie eingehalten werden? Dabei ist es ein wesentlicher Unterschied, ob ich mich in einer Wohnstraße bewege, wo überwiegend Anwohner leben, oder ob ich mich in einer Durchgangsstraße befinde. Was wir in Freiburg überwiegend machen ist, dass wir insbesondere in Wohnstraßen auf den Selbsterziehungseffekt der Leute setzten. Das heißt, wir führen sehr viele Bürgerbeteiligungen durch, wenn wir verkehrsberuhigte Bereiche ausweisen. Die Anwohner müssen dann selbst diese Verkehrsmaßnahme wollen und mit ihren Mitbürgern offen darüber sprechen, dass ein solches Konzept Sinn macht, und sie müssen sich später auch daran halten. Auf übergeordneten Straßen mit viel Durchgangsverkehr geht es natürlich nur mit Lichtsignalsteuerung sowie mit Überwachung und Ahndung. Ein Patentrezept habe ich leider nicht.
Gelegentlich werden in Bamberg Stimmen laut, die eine Sperrung der Langen Straße für den Durchgangsverkehr und die Umwandlung in eine Fußgängerzone fordern...
Wir haben gerade so eine Maßnahme in Freiburg durchgeführt. Es ist aber sehr schwierig, die Situation von außen zu betrachten. Man muss sich die ganze Sache sehr sorgfältig anschauen, und am Ende gehört natürlich auch ein bisschen Mut dazu, das Ganze auszuprobieren. Wir haben es zunächst als Verkehrsversuch gestartet. Wir haben es dann ein, zwei Jahre angeschaut, welche Auswirkungen eine Sperrung hat. Sicherlich hat es die ersten Wochen ein Chaos gegeben und wir mussten im Vorfeld sehr viel Überzeugungsarbeit bei den Anwohnern und den Geschäftsinhabern leisten. Bei uns hat es inzwischen geklappt, es funktioniert sehr gut.

Das zeigt, dass verkehrsberuhigte Bereiche nicht unbedingt aussterben müssen, sondern belebt sein können.
Natürlich. Man muss allerdings nicht immer nur unbedingt die klassische Fußgängerzone machen, wo kein Auto mehr durchfahren darf. Wir haben in Freiburg viele verkehrsberuhigte Bereiche, wo man mit dem Auto durchfahren kann. Auch das Thema Teilen von Flächen, sprich der Autoverkehr teilt sich die Fläche mit dem Radfahrer und dem Fußgänger, funktioniert in der Regel sehr gut. Dazu muss man den Autoverkehr nicht komplett hinausschmeißen, man will ihn nur reduzieren oder ihn zumindest verlangsamen.

Sie sagen, dass Verkehrskonzepte durchaus ihre Zeit brauchen. Irgendwann aber muss man dann doch mal anfangen, oder?
Man muss natürlich schauen, dass man vor lauter Konzeptionsideen am Ende nicht gar nichts umsetzt. Dennoch braucht man eine langfristige Perspektive, die jedoch immer wieder überarbeitet werden muss. Man muss immer wieder überprüfen: Stimmt sie noch oder muss ich sie nachjustieren? Es müssen aber auch einzelne kleine Projekte dabei herauskommen. Natürlich kann man so eine Stadt nicht mit einem Schlag umbauen. Es sind immer kleine Maßnahmen, die zum Ziel führen.

Freiburg hat den in den vergangenen Jahrzehnten den Radverkehr drastisch ausgebaut und gleichzeitig den ruhenden Parkverkehr eingeschränkt. Was schlagen Sie für Bamberg vor?
Auf einen PKW-Abstellplatz bekommt man sechs bis acht Räder unter. Das ist sicherlich ein Argument, welches man sich zu Gemüte führen muss. Das wichtigste aber ist, um den Radverkehr zu steigern, ein Gesamtkonzept. Denn der Radfahrer will selber an sein Ziel kommen, will ungehindert fahren und braucht Abstellplätze. Neben Radwegeanlagen in die Stadt und in die Region hinaus braucht es an Zielen wie Rathäusern oder Firmen Abstellanlagen, in denen man sich umziehen oder auch mal duschen kann, gerade, wenn Radfahrer längere Strecken zurücklegen. Dafür muss man allerdings etwas Werbung machen, damit die Leute es annehmen. Darüber hinaus stellen wir in der Verwaltung Dienstfahrräder zur Verfügung, die abends mit nach Hause genommen werden können.

Am Ende vielleicht noch ein Tipp: Freiburg hat, wie Bamberg, ein Radhaus am Bahnhof. Auch bei Ihnen lief es am Anfang sehr schleppend. Wie haben Sie es dennoch geschafft?
Überzeugen, überzeugen und überzeugen. Am Anfang war von den 1000 Stellplätzen gerade mal ein Drittel belegt. Inzwischen gehen aber aufgrund des Platzmangels die Menschen notgedrungen ins Parkhaus. Zudem werden die Räder immer teurer, so dass viele die Sicherheit für ihr Rad vorziehen. Darüber hinaus haben wir im Obergeschoss des Radhauses das Café ausgebaut und verschönert und somit einen weiteren Anziehungspunkt für das Radparkhaus geschaffen. Mittlerweile läuft es somit rund.