Der Makel der Erinnerung
Autor: Markus Häggberg
Lichtenfels, Freitag, 29. März 2019
Magalie war eine schöne Frau. Aber das war nicht der Punkt. Wenn eine Frau schön und von leisem Wesen ist, kann sie für geheimnisvoll gehalten werden. Ich lernte Magalie im Hafen von Brindisi kennen u...
Magalie war eine schöne Frau. Aber das war nicht der Punkt. Wenn eine Frau schön und von leisem Wesen ist, kann sie für geheimnisvoll gehalten werden. Ich lernte Magalie im Hafen von Brindisi kennen und sie schien Gefolge zu haben. Darunter war ein kiffender Holländer, ein schweigsamer Franzose, ein mitteilsamer Franzose, ein tätowierter Däne, ein weniger tätowierter Däne, eine handfeste Dänin und bald auch ein in Jonglage geübter Norweger, der genauso aussah, wie es Robinson Crusoe in unserer Fantasie tut, sobald er sich nach getanem Schiffbruch entkräftet und zerzaust an den Strand seiner Insel anspülen lässt.
Magalie selbst war aus Rio de Janeiro und Mitglied einer dortigen Sambaschule. Diesem Haufen also trat ich vor 22 Jahren im Hafen von Brindisi bei, und wir verbrachten Wochen der Jugend und Ausgelassenheit in der Ägäis. Magalie war dabei ein stiller Mittelpunkt, dem man zugutehielt, von zu behütendem Wert zu sein. Stieg sie ins Wasser, so wechselten wir Jungs uns darin ab, auf der Kaimauer sitzend über sie zu wachen, damit ihr nur ja nichts geschieht. Aus ihrer Ruhe schien sich eine Autorität zu verströmen, eine Unantastbarkeit sogar.
Eines Tages war die Zeit in der Ägäis vorüber, wir jungen Menschen gingen von uns und in alle Richtungen. Nur Magalie und ich hatten noch eine gemeinsame Etappe mit Ziel Athen. Dort war meine Drehscheibe für die Weiterfahrt in den Orient, dort war auch ihr Onkel ansässig, den sie besuchen wollte.
Bei unserer Ankunft empfing er uns und ich durfte feststellen, dass er der Chef von Moulinex/Europa war. Wir sollten am Abend auf seiner Jacht bei Kerzenschein und lauem Wind speisen und gingen vorher noch nach Plaka und auf die Akropolis hinauf. Dort bot ein Händler Magalie ein rotes Kleid für umsonst an, weil er sie darin sehen wollte. Mit einer nur für einen kurzen Moment anwesenden Geste signalisierte Magalie dem Mann, dass wir alle unsere Träume haben, warum also nicht auch er.
Einmal mehr erschien sie mir wie eine dieser Frauen, die mit unergründlichem Blick Wahrheiten in Fernen sehen können, schön anzuschauen und unbetretbar. Am nächsten Tag trennten sich unsere Wege und ich habe mich immer wieder mal gefragt, was aus ihr geworden sein mag. Es war die Vor-Facebook-Ära, die Welt, in der Brieffreundschaften mit der Zeit einschliefen und sich selbst erledigten. Fernen waren Fernen und Menschen noch geheimnisvoll. Neulich fand ich Magalie auf Facebook, aus einer Laune heraus und absichtsvoll. Sie lebt heute in Neuseeland und ist mitteilsamer als früher. Wenn sie nicht die ewig selben Bilder ihrer Kinder postet, dann Bilder von sich selbst in farblich wechselnden Bikinis. Zu sagen hat sie nichts, zu zeigen hat sie Ernüchterndes.
Vor einem halben Leben wachten wir über das Baden dieser tiefsinnig wirkenden Schönheit. Es liegt ein Makel auf dieser Erinnerung. Was das alles mit dem Obermain zu tun hat? Nun, ich habe eine Erinnerung mit Ihnen geteilt, ganz unter uns. Am Obermain.