Druckartikel: Der Choleriker

Der Choleriker


Autor: Markus Häggberg

Lichtenfels, Donnerstag, 02. Juli 2020

Ja leck mich fett, was kann mein Bekannter fluchen! Manchmal wird er richtig ordinär. Ein unmöglicher Mensch. Kruzifix aber auch, ihm geht die Drecks-Nasen-Mund-Maske dermaßen aufs Getriebe, weil er l...


Ja leck mich fett, was kann mein Bekannter fluchen! Manchmal wird er richtig ordinär. Ein unmöglicher Mensch. Kruzifix aber auch, ihm geht die Drecks-Nasen-Mund-Maske dermaßen aufs Getriebe, weil er leicht asthmatisch ist und so langsam die Geduld mit dem ganzen Corona verliert.

Was ihn am meisten ankotzt, ist, dass ihm ständig seine verfluchte Drecksbrille beschlägt. Er kann sich dann immer furchtbar aufregen, aber ich sag' ihm immer, er solle erst mal wieder runterkommen. Hilft ja nix. Heu-wä-gel-chen.

Aber neulich war's halt wieder so weit und er ist ausgetickt. Wir wackeln also so nebeneinander her, und er erklärt mir einen sehr komplexen Sachzusammenhang. Bei der Gelegenheit frage ich ihn, ob er gegen das Nuscheln nicht vielleicht etwas unternehmen könnte - beispielsweise die Maske abnehmen.

Verdammich nochmal, hat der getobt. Also der ist richtig ausfällig geworden und das nur, weil er vergessen hatte, diese Mist-Drecks-Hundsfott-Bitch-Maske auf der Straße mal abzunehmen, was ja erlaubt ist. Und als er es tat, stellte er zudem noch fest, dass seine drecksdoofeblödbeknackte Brille beschlagen war. Also wollte er sie putzen und stellte fest, dass die beschlagenen Scheiben das geringste Problem an ihr war.

Ich möchte hier an dieser Stelle gar nicht wiederholen, was er so alles gesagt hat, es war echt nicht feierlich und ich habe mich so geschämt. Wie kann man sich nur so gehen lassen? Nun ja, manchmal stört ihn selbst die Fliege an der Wand.

Aber der Knaller sollte erst noch kommen. Wir gingen ja noch auf einen Drink zu ihm und setzten uns auf den Balkon. Männergespräche. Dabei lief im Hintergrund was aus den 70ern von Tom Waits, etwas von großer Melodiösität und wundersamer Melancholie. Kurz und gut: Es war schön. Aber dann kam es zum Eklat. Irgend so eine Rotzgöre aus der Nachbarschaft - das muss man sich mal vorstellen - rief zu uns herauf, ob wir die Musik nicht vielleicht etwas leiser machen könnten, weil sie schlafen müsse. Dann platzte meinem Kumpel der Kragen, aber so richtig. Er sagte, und ich übertreibe nicht: "Liebes Kind, sei froh, dass ich nicht selber singe." Wahnsinn, oder? Ich hätte nicht gedacht, dass mein Kumpel zum Äußersten fähig ist. Aber es zeigt halt nur, wie sehr in diesen Corona-Zeiten auch bei ihm die Nerven blank liegen.