Druckartikel: "Das wahre Motiv": Mörderisches Faschingstreiben in "Schwabylon"

"Das wahre Motiv": Mörderisches Faschingstreiben in "Schwabylon"


Autor: Sigismund von Dobschütz

Bad Kissingen, Donnerstag, 01. Sept. 2022

Sigismund von Dobschütz Ein Serienmörder schlägt im Fasching des Jahres 1895 im Münchner Künstlerviertel Schwabing zu. Ausgerechnet der preußische Reserveoffizier Wilhelm Freiherr von Gryszinski, der...


Sigismund von Dobschütz

Ein Serienmörder schlägt im Fasching des Jahres 1895 im Münchner Künstlerviertel Schwabing zu. Ausgerechnet der preußische Reserveoffizier Wilhelm Freiherr von Gryszinski, der mit Kunst und Künstlern nur wenig anfangen kann, wird vom Münchner Polizeidirektor Ludwig von Welser (1841-1931) mit der Ermittlung beauftragt. Doch der junge Kriminalist, den der Polizeidirektor erst vor eineinhalb Jahren aus Berlin als Sonderermittler zur königlich bayerischen Gendarmerie geholt hat und der sich schon bald nach Dienstantritt in seinem ersten Mordfall bewähren konnte, ist wie kein anderer für diesen Auftrag geeignet: Er hatte erst Anfang der 1890er Jahre beim berühmten Grazer Strafrechtler Hans Groß (1847-1915), dem Gründer der modernen Kriminologie, hospitiert und soll nun in der bayerischen Hauptstadt die von Groß erfundenen kriminalistischen Methoden wie Fingerabdruck- und Spurensicherung am Tatort einführen.

So macht sich der kürzlich zum preußischen Major der Reserve beförderte Freiherr mit seinem neumodischen, ebenfalls von Hans Groß entwickelten Tatortkoffer, der bei der Gendarmerie inzwischen Gryszinskis Markenzeichen ist, und den beiden Wachtmeistern Vogelmaier, genannt Spatzl, und Eberle, an die Ermittlungsarbeit in einem von Künstlern geprägten, moralisch lockeren Umfeld, das ihm als Preußen mental völlig fremd ist.

Nach ihrem erfolgreichen Romandebüt "Der falsche Preuße" (2021) über Gryszinskis ersten Mordfall konzentriert sich Uta Seeburg in ihrem Folgeband "Das wahre Motiv" auf das bunte Faschingstreiben in dem als "Schwabylon" berüchtigten Viertel mit seinen sogar für Münchner Konservative allzu lockeren Moralvorstellungen und rauschenden Festen. Auf der Suche nach dem unheimlichen Mörder, der seine Opfer in kunstvollen, an Gemälde der klassischen Mythologie erinnernde Posen drapiert, muss der preußische Kriminalist tief ins Umfeld der Schwabinger Bohème eintauchen. Als wäre dies nicht genug, überrascht auch noch Ehefrau Sophie ihren Mann und die entsetzten Schwiegereltern aus altem preußischen Adel mit einem selbst verfassten Kriminalroman, für dessen Vermarktung sie sogar schon den jungen, kürzlich nach München übersiedelten Verleger Albert Langen (1869-1909) gewinnen konnte. Und zu allem Überfluss nistet sich dann noch der preußische Geheimdienstmitarbeiter Carl-Philipp von Straven ein weiteres Mal in Gryszinskis Wohnung ein, mit dem Auftrag, die Künstlergruppe auszuspionieren.

Auch in ihrem zweiten Krimi schafft es Seeburg ausgezeichnet, diese unruhige, vom gesellschaftlichen Wandel geprägte Zeit der Jahrhundertwende historisch authentisch und atmosphärisch dicht einzufangen. Vor allem aber gelingt es ihr, die mentalen und kulturellen Unterschiede zwischen Preußen und Bayern augenzwinkernd und humorvoll zu zeigen. Nicht zuletzt diese "Reibung" bekannter Klischees über Preußen und Bayern geben den Krimis um den preußischen Offizier in München ihr gewisses Alleinstellungsmerkmal unter den deutschen Krimis, verschaffen ihnen den besonderen Reiz und machen deren Lektüre zum erholsamen Spaß. Wir dürfen uns schon auf den dritten Band freuen, der - so die Aussage der Autorin - bereits in Arbeit ist.

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