Das letzte Geficht
Autor: Günter Flegel
Sailershausen, Mittwoch, 24. Oktober 2018
Der trockene und heiße Endlos-Sommer hat vielen Bäumen zugesetzt. Nicht nur in den Städten und Gärten. Auch die Wälder wandeln sich mit dem Klima, und zwar nicht freiwillig. Wo die Käfer wüten, droht der Kahlschlag.
Günter Flegel Der Regen hat dem Wald richtig gut getan, das kann man riechen und sogar hören. Oder nicht mehr hören. Denn da, wo es vor ein paar Tagen unter den Schuhen noch trocken knisterte, läuft man fast lautlos über einen endlosen Blätterteppich. So leise jedenfalls, dass man meint, jeden einzelnen Tropfen zu hören, der aus den Kronen auf den Boden fällt, der das Nass gierig aufsaugt.
Trüber Himmel. Regenzeit. Kühle, frische Luft. Das ist im Jahr 2018 schon etwas Besonderes, gerade auch für den Förster Hans Stark. "Regen ist gut", sagt er. "Aber es müsste viel mehr sein." Denn der Regen der letzten Tage kommt zu spät, zumindest für einige zehntausend Bäume, die Stark unter seinen Fittichen hat. Sie sind tot. Verdurstet, vertrocknet, von Käfern und Pilzen zerfressen. Wir machen uns auf den Weg durch den Regen zu einer Wüste mitten im fränkischen Wald.
Was ficht den Wald an?
Am augenfälligsten wird die Veränderung im Wald da, wo es ganz besonders intensiv nach Wald riecht - nur dass da kein Wald mehr ist. Starks Kombi zieht eine Spur durch den Blätterteppich auf den schmalen Waldwegen; der Leiter des Universitätsforstamtes Sailershausen kennt sich im Zwielicht dieses frühen Morgens besser aus als in seiner Westentasche. Nach der x-ten Abzweigung wird es plötzlich taghell. Stark stoppt.
Der Waldschlag heißt Weichselberg, ein alter Name, der sich wahrscheinlich davon herleitet, dass im ursprünglichen Mischwald Wildkirschen (Weichseln) wuchsen. Wald in der reinsten Form? Jetzt duftet er wie ein Fichtennadelschaumbad - allerdings ohne Wald. "Vor kurzem stand hier noch ein dichter Fichten-Bestand", sagt Stark. Der Harvester eines vom Forstamt beauftragten Rückeunternehmens hat ihn beseitigt. Waldschlag. Wortwörtlich.
Links und rechts des Wegs liegen die Baumstämme, sauber abgelängt und haushoch aufgetürmt. Links die guten, aus denen man noch Bretter und Balken schneiden kann, rechts die schlechten, von innen zerfressenen und blau verfärbten, aus denen allenfalls noch Spanplatten oder Holzpellets werden.
Kaum eine der Fichten in diesem Waldschlag war noch gesund, erklärt der Förster, nur drückt er sich etwas drastischer aus: "Die sind alle hinüber." Eine Naturkatastrophe? Dies nun gerade nicht. Als der liebe Gott hier Wald wachsen ließ, so sagt Stark, gab es eine bunte Mischung: mächtige Eichen, Buchen, Kirschen, Exoten wie Elsbeere und Ahorn, hier und da auch mal ein Nadelbaum.