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Das kann passieren, wenn man sich einen furchtlosen Denker einlädt


Autor: Christoph Hägele

Bamberg, Freitag, 07. Juni 2019

Christoph Hägele Rühmend eingeführt hatte Christian Illies seinen Gast als furchtlosen und lustvoll Konventionen verletzenden Denker. Mit diesen Worten sollte der Bamberger Philosophieprofessor, der s...
Gunnar Heinsohn am Donnerstag in Bamberg  Foto: Matthias Hoch


Christoph Hägele Rühmend eingeführt hatte Christian Illies seinen Gast als furchtlosen und lustvoll Konventionen verletzenden Denker. Mit diesen Worten sollte der Bamberger Philosophieprofessor, der seit vielen Jahren die Bamberger Hegelwoche kuratiert, Gunnar Heinsohn besser charakterisiert haben als ihm wohl selbst lieb gewesen sein dürfte. Heinsohns knapp einstündigem Vortrag in der Aula der Bamberger Universität mochte es an manchem gebrochen haben, an Mut aber nicht.

In Aussicht gestellt hatte Illies seinem Publikum am Donnerstagabend eine intellektuelle Summe unter der diesjährigen Hegelwoche. Geklärt werden sollte, was den Zusammenhalt der porös gewordenen Gegenwartsgesellschaften stärken könnte. Für diesen Anspruch aber erwies sich Heinsohn als denkbar ungeeigneter Gewährsmann. Am Beispiel kleinteiliger und deshalb kaum zu entziffernder Schaubilder wies der emeritierte Professor und Publizist Europa im Allgemeinen und Deutschland im Besonderen den Weg in die wirtschafts- und geopolitische Bedeutungslosigkeit. Die Schuld daran gibt Heinsohn rückläufigen Geburtenzahlen in Tateinheit mit einer mathematisch und kognitiven schwachen Bevölkerung sowie einer naiven, weil an den falschen Prioritäten ausgerichteten Migrationspolitik.

Statt im wohlverstandenen Eigeninteresse jene ins Land zu holen, die der Gesellschaft wirtschaftlich nutzen, öffneten die Deutschen aus sentimentalen Gründen denen das Land, die später nur ihrem Sozialstaat zur Last fielen.

Meinungsstarke Thesen

Man sollte Heinsohns meinungsstarke Thesen nicht ins Lächerliche ziehen, man sollte sie nicht ins Abseits politischer Unzurechnungsfähigkeit stellen. Die Notwendigkeit, die Migration stärker als bisher nach wirtschaftlichen Erwägungen zu organisieren, ist quer durch die politischen Lager Common Sense. Das vom Bundestag gestern beschlossene Fachkräfteeinwanderungsgesetz trägt dieser Einsicht Rechnung.

Von gezielt angeworbenen oder ins Land gelassenen Einwanderern kategorisch unterschieden werden müssen aber Flüchtlinge und Asylbewerber. Sie suchen in Deutschland temporär Schutz vor Krieg und Verfolgung. Sie am Maß der wirtschaftlichen Nützlichkeit zu messen, verbietet sich sowohl moralisch als auch rechtlich. Diesen Unterschied gedanklich nicht angemessen gewürdigt zu haben, war nicht der einzige Mangel in Heinsohns Vortrag. Allzu salopp sprach er von "Gescheiterten" und "Versagern", von "Mathe-Assen" und "Hochbegabten". Als empirischen Beleg für derlei Attribute dienten Heinsohn in erster Linie Pisa-Studien und die Ergebnissen von Mathematik-Olympiaden.

Einen signifikanten Einfluss des Bildungssystems auf die intellektuellen Kompetenzen von Schülern bezweifelte Heinsohn. Asiaten scheinen besser rechnen zu können, weil sie Asiaten sind. Sollte Heinsohn in diesem Punkt eine differenziertere Meinung pflegen- wovon zu seinen Gunsten ausgegangen werden muss - teilte er sie nicht mit dem Bamberger Publikum.

Heinsohn hätte deutscher Selbstzufriedenheit und einem wohlstandsgemästeten Phlegma den Spiegel der Erkenntnis vorhalten können. Daran hinderten ihn am Donnerstag begriffliche Unschärfen, unzureichend erklärte Quellen und ins Stumpfe sinkende Polemik: "Die Angst vor fremden Divisionen mit tödlichen Kanonen weicht der Furcht vor Unbewaffneten ohne Qualifikationen" zierte als Geleitspruch eine seiner Folien.

Illies wagt ein Fazit

Es war dem gewitzten Denker Christian Illies vorbehalten, doch noch die Brücke zu schlagen zwischen den untergangslüsternen Szenarien Heinsohns und der die Hegelwoche anleitenden Frage nach dem gesellschaftlichen Zusammenhalt: "Eine solidarische Gesellschaft ist vielleicht nur mit einer starken Wirtschaft finanzierbar."

Vollkommen glücklich mit seiner gedanklichen Synthese schien Illies jedoch selbst nicht zu sein. Sie wäre auch ein denkbar geringer Ertrag einer Veranstaltungsreihe, die mit dem gesellschaftspolitisch zwar streitbaren, intellektuell aber uneingeschränkt beeindruckenden Vortrag Paul Kirchhofs furios begann.

Heinsohn hat der Hegelwoche eine optimistische Perspektive auf die Herausforderungen unserer Zeit verweigert. Aber das kann passieren, wenn man einen furchtlosen Denker einlädt.