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Autor: Christiane Lehmann

Coburg, Montag, 21. Juni 2021

brustkrebs  Nach einer erfolgreichen Krebsbehandlung kommen die Fragen - Anja Wagler hilft Frauen, Antworten und neue Perspektiven zu finden.
Anja Wagler berät Frauen mit einer Brustkrebserkrankung in persönlichen Gesprächen oder online über Zoom.


Ihr erster Fall war sie selbst. Nach der überstandenen Brustkrebserkrankung kamen auch bei ihr die Fragen: Was möchte ich jetzt machen? Was macht mir Spaß? Kann ich einfach so weiter machen wie bisher?

Anja Wagler, erfolgreiche Scheidungsanwältin, ist 51 Jahre alt, als sie beim Duschen den Knoten in ihrer Brust ertastet. Schnell war klar, der muss raus. Bösartig, aber heilbar. Es folgten Chemo, Operationen, Bestrahlung, Reha. "Ein Prozess, in dem Du wenig zum Nachdenken kommst. Du bist viel zu sehr mit dir und deinem Körper beschäftigt", sagt sie. Aber dann, wenn alles überstanden ist und alle denken, "sie hat es geschafft", "Gott sei Dank, alles überstanden", kommt die große Antriebslosigkeit. "Sofort wieder zu funktionieren, ist nicht möglich", erinnert sich die mittlerweile 54-Jährige. "Der Krebs macht was mit einem."

Die Fragen in ihrem Kopf kreisten und letztendlich kam sie zu dem Entschluss, noch einmal etwas ganz Neues zu machen, etwas, das ihr Spaß macht und zu ihr passt.

Mit ihrem Wissen und ihrer Erfahrung als Scheidungs- und Familienanwältin ist sie eine gute Zuhörerin und Gesprächspartnerin für Probleme, die sich an Wegkreuzungen stellen. Menschen zu beraten und ihnen Richtungen aufzuzeigen, ist das, was sie auch in ihrem Beruf tagtäglich tut. Nach der Brustkrebserkrankung wurde ihr klar, dass sie dieses Talent nutzen kann, um betroffenen Frauen, die ihr Schicksal teilen, zu helfen. Und so entschied sie sich, eine Coachingausbildung in München zu machen.

Leben voller Fülle und Freude

Seit Anfang dieses Jahres berät sie - neben ihrer Tätigkeit als Anwältin - Frauen mit Brustkrebs beziehungsweise nach überstandener Therapie in ihren eigenen Praxisräumen. Ihre Vision: Alle Frauen mit der Krebsdiagnose wieder in ein Leben voller Fülle und Freude zu bringen.

Ihr Vorteil: "Viele meiner Klientinnen empfinden mich als Coach so wirksam, weil ich die ganzen Phasen der Erkrankung und den langen Weg von der Diagnose bis zur Heilung selbst erlebt habe."

Und wie läuft das ab? In einem Erstgespräch mit einer Klientin geht es um eine Art Bestandsaufnahme. "Wir legen eine Zielrichtung fest und fokussieren uns auf die Zielfindung", erläutert die Beraterin. An ihr ist es, die richtigen Fragen zu stellen, zu intervenieren, einen Perspektivwechsel anzuregen. "Es dreht sich viel um Veränderung: Welche Werte haben sich durch Krankheit geändert, welche sind wichtiger geworden als andere?" Das herauszufinden und zu erkennen, wer und wie man sein will, ist eine ihrer Aufgaben als Coach.

Die richtigen Fragen stellen

Dazu gehören natürlich auch Fragen wie "Wen will ich nicht mehr in meinem Leben haben, mit wem will ich mich umgeben, wer tut mir gut?"

Anja Wagler erinnert sich an eine Frau, die voller Ängste steckte, aber endlich auch gehört werden wollte. Sie wollte sich zutrauen, ihre Stimme zu erheben, um sichtbarer zu werden, aus ihrem Graue-Maus-Alltag herauszukommen. "Es gibt viele Möglichkeiten, das Thema anzugehen", sagt die Coachin. Das könne eine zusätzliche Ausbildung sein, ein guter Mentor oder ein Netzwerk von vertrauten Gesprächspartnern, die einem auf die Sprünge helfen.

Das Urvertrauen ins Leben zurückbekommen, die eigenen Ängste in Schach zu halten, das seien schon große Herausforderungen, aber so ein Coaching sei keine Magie. "Ich kann Tipps geben, wie das Kopfkino aufhört, wie man wieder ins Leben zurückfinden und aus der Achterbahn aussteigen kann", sagt die Frau mit großer Lebenserfahrung.

Drei bis vier Sitzungen seien dazu auf jeden Fall nötig. Die Gespräche finden anfangs in einem kürzeren Abstand statt, später vergehen manchmal Wochen dazwischen. Anders als Psychotherapeuten arbeitet Anja Wagler nicht die Vergangenheit der Frauen auf, sondern schaut mit ihnen in die Zukunft.