Druckartikel: Das Geschenk einer Vergangenheit

Das Geschenk einer Vergangenheit


Autor: Markus Häggberg

Lichtenfels, Donnerstag, 28. Februar 2019

Eigentlich wollte er nur kurz tanken. Schnell etwas einfüllen, bezahlen und dann an den Schreibtisch zurück oder an sonst einen Ort, den er in dem Gefühl von Sinn, Rechtmäßigkeit oder Bedeutsamkeit au...


Eigentlich wollte er nur kurz tanken. Schnell etwas einfüllen, bezahlen und dann an den Schreibtisch zurück oder an sonst einen Ort, den er in dem Gefühl von Sinn, Rechtmäßigkeit oder Bedeutsamkeit aufsuchte. Er brachte sein Auto neben einer Zapfsäule zum Stehen, stieg aus und schlug die Tür zu.

Als er in seinen Taschen zu kramen begann, blickte er kurz auf und was er sah, versetzte ihm einen Stich. Die junge Frau, die soeben an ihm vorüberging, sah dem jungen Mädchen wie aus dem Gesicht geschnitten aus, mit welchem er damals ...

Damals, das war jetzt bald 40 Jahre her. Heute würde er sich fragen, ob sie schön war. Für ihn ja. Heute würde er sich fragen, ob sie interessant war? Für ihn schon. Oder von reizvoller Gestalt? Für ihn doch. Damals fragte er sich das alles nicht. Sein Begehren war unschuldig, weil noch frei von Vergleichen. Gebannt sah er der jungen Frau nach; ihr Gang, ihre Körperhaltung, ihre Frisur, ihr Gesicht und selbst ihre Gestik - er war wieder im Jahre 1979. Die Zeit war nicht stehengeblieben, aber sie kehrte doch unter veränderten Vorzeichen zurück.

Sie jung, er nicht. Er sah ihr nach, sie drehte sich nicht um. Ob sie die Tochter des Mädchens von einst ist? Ob er sie ansprechen sollte, in Erfahrung zu bringen, ob ihre Mutter nicht womöglich ... Er hatte sie seit damals nicht mehr gesehen, aus den Augen verloren, aus der Schule, aus dem Sinn. Dass sie nicht seine Tochter war, dass wusste er. Bei dem Gedanken musste er schmunzeln.

Es war einer der letzten Februartage dieses Jahres, der Winter ließ die Sonne gewähren, sie wärmte dem Mann das Gesicht und dieser wurde ein bisschen fröhlich. Gerade war er noch im Damals und melancholisch, wohl auch weil ihm bewusst geworden war, wie viel Zeit sich zwischen die Jugend und das Nun gelegt hatte. Jetzt aber wärmte ihm an einer Ebensfelder Tankstelle die Sonne das Gesicht und an diesem Punkt angekommen, sandte er nach oben die Frage, ob es ihn weiter zu interessieren habe, ob die junge Frau die Tochter seiner damaligen ersten Freundin sein könnte und ob er sie ansprechen solle. Eine Stimme sagte ihm, es habe alles keine Relevanz. Er nahm es für sich an. Das genügt ihm bis heute. Und dann war da noch etwas. Als er der jungen Frau so nachschaute, da wusste er über seine damalige Freundin plötzlich etwas ganz genau: Sie wäre heute überhaupt nicht mehr sein Typ.