Druckartikel: Bei Tritten gibt es kein Pardon

Bei Tritten gibt es kein Pardon


Autor: Ulrike Nauer

Kronach, Samstag, 17. Januar 2015

Justiz   Leitender Oberstaatsanwalt Anton Lohneis und sein Kollege Martin Dippold bearbeiten jedes Jahr rund 11000 Strafverfahren. In der Bewertung gibt es unterdessen Änderungen.


von unserem Redaktionsmitglied ulrike nauer

Coburg/Kronach — Es ist die Nacht vor Heiligabend. In der Kronacher Innenstadt kommt es zu einer brutalen Auseinandersetzung. Eine Gruppe junger Leute gerät mit einer anderen in Streit. Zunächst nur mit Worten, dann eskaliert die Situation. Ein 20-Jähriger aus dem Landkreis Kronach schlägt einen 17-Jährigen aus Niedersachsen mit einem Schlagring zu Boden, versetzt ihm dann Tritte gegen den Kopf und den Oberkörper. Das Opfer wird im Gesicht verletzt, glücklicherweise nicht lebensgefährlich. Der Schläger flüchtet, wird aber kurze Zeit später festgenommen. Seitdem sitzt er in Untersuchungshaft. Die Staatsanwaltschaft Coburg ermittelt gegen ihn - wegen versuchten Totschlags.
Immer wieder hat es in den vergangenen Jahren ähnliche Fälle im Zuständigkeitsbereich der Staatsanwaltschaft (Coburg, Kronach, Lichtenfels) gegeben. Dabei ziehen Tritte gegen den Kopf eines Opfers inzwischen generell den Tatvorwurf der versuchten Tötung nach sich. Es hat den Anschein, dass solche Vorfälle in den letzten Jahren zugenommen haben.
Dass das nicht nur "gefühlt" so ist, sondern tatsächlich, bestätigt Anton Lohneis, Leitender Oberstaatsanwalt bei der Coburger Justiz, im Gespräch mit unserer Zeitung.
"Die Zahlen steigen generell." Allerdings sei das Vorgehen der Justiz, was den Tatbestand der versuchten Tötung angeht, in den letzten Jahren auch massiver geworden. "Tritte sind früher als gefährliche Körperverletzung durchgegangen", erläutert Lohneis. "Inzwischen gehen wir dabei aber prinzipiell von versuchter Tötung aus." Die Erfahrung zeige nämlich, dass insbesondere Tritte gegen den Kopf lebensgefährlich seien und mit dem Tod enden könnten. "Deswegen ordnen wir solche Taten anders ein, was letztlich die Zahl der Fälle erhöht."

11 000 Strafverfahren jährlich

Jedes Jahr bearbeitet die Coburger Justiz rund 11 000 Strafverfahren. Dazu gehören beispielsweise Betrugsfälle und Diebstähle, aber auch Schwurgerichtsverfahren, das heißt, Verfahren, bei denen es vor allem um Mord oder Totschlag geht. Für 2012 weist die Statistik 27 Schwurgerichtsverfahren aus - in 20 Fällen ging es um versuchten Totschlag, sieben Verfahren waren Mordanklagen. 2013 waren es fünf Mordanklagen und 24 versuchte Tötungen, im vergangenen Jahr vier Mordanklagen und 33 versuchte Tötungen - ein deutlicher Anstieg. Allerdings müsse man dabei zwei Dinge berücksichtigen, sagt Lohneis.
Werde gegen einen Tatverdächtigen beispielsweise wegen versuchten Totschlags ermittelt, bedeute das nicht notgedrungen, dass derjenige am Ende im Prozess auch dafür verurteilt werde. Manchmal stelle sich eben erst im Verlauf der Gerichtsverhandlung heraus, dass eine versuchte Tötung "nur" eine gefährliche Körperverletzung war, macht der Oberstaatsanwalt deutlich.
Außerdem müsse man auch das Verhältnis sehen: Von den 11 000 Strafverfahren enden knapp 40 vor dem Schwurgericht. "Das ist eine andere Dimension. Daran erkennt man die Exponiertheit von Schwurgerichtssachen." Dass die Gewaltbereitschaft in der Region höher ist als anderswo, dass der Bereich Coburg-Kronach-Lichtenfels gar ein besonders heißes Pflaster ist, will Lohneis allerdings nicht bestätigen. "Die Zahlen steigen im gesamten Bereich des Oberlandesgerichtes." Das OLG Bamberg ist sowohl für Ober- als auch für Unterfranken zuständig.
Nicht nur bei der Coburger Justiz habe man sich darauf verständigt, Tritte gegen den Kopf strenger zu ahnden, betont der Leitende Oberstaatsanwalt. Es sei inzwischen bayernweit die allgemeine Vorgehensweise, dass Tritte in einer gewissen Massivität als versuchte Tötung verfolgt werden. "Das sieht auch der Generalstaatsanwalt so."

U-Haft hinterlässt Eindruck

Dass sich diese Strenge auf das künftige Verhalten der Angeklagten beziehungsweise Verurteilten positiv auswirken könnte, glauben sowohl Anton Lohneis als auch sein neuer ständiger Vertreter, Oberstaatsanwalt Martin Dippold. Wandere ein Tatverdächtiger unmittelbar nach einer Tat für sechs bis neun Monate in Untersuchungshaft, so hinterlasse das einen intensiven Eindruck, weiß Dippold. "Gerade bei den jungen Leuten sollte diese Botschaft ankommen" und natürlich auch abschreckend wirken, ergänzt Lohneis. Dass diese "Botschaft" aber längst nicht alle erreicht, zeigten die Zahlen. "Die Täter werden nicht weniger."