Begegnung zu einem Damals
Autor: Markus Häggberg
Lichtenfels, Freitag, 24. April 2020
N eulich war mir mal wieder nach Verwandtschaft. Also ging ich auf den Friedhof. Es ist ein Ort, an dem man als Besucher doch die Möglichkeit geboten bekommt, im Falle eines Zwiesprachehaltens mit ein...
N eulich war mir mal wieder nach Verwandtschaft. Also ging ich auf den Friedhof. Es ist ein Ort, an dem man als Besucher doch die Möglichkeit geboten bekommt, im Falle eines Zwiesprachehaltens mit einem Verwandten mehr als früher zu Wort zu kommen. Und besonders mehr als er. Außerdem schien die Sonne. Da wollte es also das Schicksal, dass ich gut gelaunt von einem Job kommend den Gottesacker betrat. Normalerweise komme ich ja von vorne rein und biege dann stracks rechts weg, weil ich ja schließlich der engsten Verwandtschaft den Vorzug geben will. Diesmal aber kam ich beruflich bedingt aus südlicher Richtung und zäumte somit das Pferd ab dem vierten Verwandtschaftsgrad auf, inklusive Schwippschwager und Hausfreunde.
Während des Abklapperns wurde ich aber von einer Dame angesprochen, die wiederum ihre Verwandten zu gießen schien. Sie war etwas vorgerückt im Alter, wunderbar sortiert, sehr humorvoll und gebildet. Da ärgert man sich glatt, dass man noch so jung ist. Jedenfalls begegneten wir einander erstmalig und wie wir so ins Plaudern gerieten und irgendwann ausgerechnet über Schlesien sprachen, da stellten wir fest, dass wir eine gemeinsame Bekannte haben: ihre Tochter. Uuuups.
Jetzt ist es aber so, dass ihre Tochter mich vor Jahren einmal ungeheuer beeindruckte. Und zwar so vor ungefähr 36 Jahren und in der sechsten Klasse. Sie saß in dem grünen Raum rechts von mir und ich glaube, sie saß zwischen einer Susanne und einer Cornelia. Sie hätte auch zwischen Marlene Dietrich und Sophia Loren sitzen können, die hätten mich damals auch nicht von ihr abgelenkt. Schon damals stieg in mir der Verdacht auf, ich könnte womöglich etwas für sie übrig gehabt haben. Oder andersrum: Ich war wahnsinnig verknallt. Sonderlich viel Beachtung erfuhr ich durch sie nicht, aber ich hielt ihr das schon darum zugute, weil ich einen unmöglichen Topfschnitt hatte. Auch das ist, was Verwandtschaft so mit einem macht. Na jedenfalls stand ich nun also vor der Mutter dieses einst für wunderbar empfundenen Wesens und es kitzelte mich ungemein, die gute Frau in meine Vergangenheit mit ihrer Tochter einzuweihen. Aber noch war es nicht so weit, noch war die Dame ungemein nett und hatte einen lieben Ratschlag für mein Leben. Sie sagte, man solle besser nicht ganz so alt werden, denn irgendwann würde es beschwerlich. Dann fügte sie mir noch unterstellend an, dass ich ja auch nicht mehr der Allerjüngste sei, und das war nicht sehr nett von ihr.
Da sie aber die Mutter des einst von mir als wunderbar empfundenen Wesens war und sich in unseren Adern überdies noch schlesisch-preußisches Blut durch die Gänge schiebt, nahm ich ihr das nicht krumm und hielt sie weiterhin gerne für sympathisch. Das war auch die Grundlage, weshalb ich ihr gestehen sollte, dass ich in ihre Tochter unheimlich verschossen war. Damals, nach dem Krieg und so um 1983. Aber ich nahm die gute Frau auch in die Pflicht, ihrer Tochter nie von meiner Verehrung zu erzählen. Und unter Abnahme des großen Schlesier-Ehrenwortes sagte sie zu. Worauf ich mit dieser Geschichte hinaus will? Friedhöfe sind Orte der Begegnung und Schlesien ein ungewöhnlicher Gesprächsaufhänger - man kommt vom Hundertsten ins Tausendste.