Begegnen verlernt
Autor: Michael Schwital
Bamberg, Montag, 27. Januar 2020
Michael Schwital Erfurt also. In 40 Minuten per ICE von Bamberg aus ein Katzensprung. Die jüngste Tochter möchte vor Ort im Kika-Fernsehstudio prüfen, ob die Familienserie "Schloss Einstein" nicht bes...
Michael Schwital Erfurt also. In 40 Minuten per ICE von Bamberg aus ein Katzensprung. Die jüngste Tochter möchte vor Ort im Kika-Fernsehstudio prüfen, ob die Familienserie "Schloss Einstein" nicht besser mit ihr in einer Rolle auskommt. Wohl an die 1500 Kinder aus der ganzen Republik werden es sein, die in diesen Tagen des Castings ähnlich denken.
Kurzweilige Stunden in der Landeshauptstadt des Freistaats Thüringen mit dem Pflichtprogramm Krämerbrücke, Dom, Mikwe, Altstadt und Ladenbummel füllen den Rest des Tages. Auf die Frage, wie denn das zahlenmäßige Verhältnis von Katholiken und Protestanten in Erfurt sei, antwortet die Verkäuferin im Kaufhaus in der Bahnhofstraße warmherzig thüringisch gefärbt: "Da kann ich ihnen keine Auskunft geben, wir haben es hier nicht so mit der Religion." 40 Jahre DDR haben große Traditionen nahezu ausgelöscht. Die Haltestelle "Karl-Marx-Platz" der Straßenbahn-Linie 2 lässt grübeln. Warum? Trier schämt sich seines großen Sohnes ja auch nicht.
Wir Bürger eines ehemals zweigeteilten Landes, wir wissen immer noch so wenig voneinander, wollen es vielleicht auch nicht. Keine Störung unseres behaglichen Lebens, bitte! Keine "Ossis", keine Flüchtlinge. Dabei geht es eigentlich nur um das Natürlichste auf der Welt - dass sich Menschen offenen Herzens und auf Augenhöhe begegnen. Und das scheinen wir mitunter verlernt zu haben - wahrscheinlich nicht alleine der Wischkästchen wegen.