Druckartikel: Bayern gewonnen - Bedeutung verloren

Bayern gewonnen - Bedeutung verloren


Autor: Gerold Snater

Königsberg in Bayern, Dienstag, 30. Juni 2020

Vor genau 100 Jahren, am 1. Juli 1920, löste sich Königsberg vom Herzogtum Sachsen-Coburg-Gotha und wurde ein Teil des Freistaats.
Das sächsische Wappen über dem Eingangstor an der Georgskirche in Hellingen erinnert noch heute an die ehemalige Zugehörigkeit zum Herzogtum Sachsen-Coburg-Gotha.


Königsberg mit dem Zusatz "i. Bay." steht auf den Ortsschildern an den Zufahrten zu der kleinen Stadt im östlichen Unterfranken. Besucher sind oft über diesen Zusatz verwundert. Ist doch klar, dass das Städtchen in Bayern liegt! Warum also dieser Zusatz "in Bayern"?

Mit Ende des Ersten Weltkrieges 1918 zerbrach das deutsche Kaiserreich. Deutschland wurde Republik. Auch das Gebiet des Herzogtums Sachsen-Coburg-Gotha zerfiel. Zu diesem Herzogtum gehörte Königsberg, das damals den Beinamen "in Franken" trug, mit den Dörfern Altershausen mit Windberg, Dörflis, Hellingen (damals noch Niederhellingen), Köslau und Kottenbrunn als Exklave. Rund 40 Kilometer von der Residenzstadt Coburg entfernt, in Bayern gelegen, wurde diese Exklave über einen Amtsbotenweg mit regiert. Dazu gehörten auch die zwei selbstständigen Parzellen Erlsdorf und Nassach.

Abstimmungen

Der übrig gebliebene Freistaat Coburg hatte auf die Dauer keine Überlebenschance. Er suchte den Anschluss an einen benachbarten Staat. In einer Volksbefragung am 30. November 1919 entschieden sich die Bürger des Coburges Landes gegen den Anschluss an Thüringen. Das Ergebnis war überraschend. Nur 11,7 Prozent der abgegebenen Stimmen sprachen sich für den Anschluss an Thüringen aus. Damit war der Weg nach Bayern frei, denn Ablehnung Thüringens wurde gleichzeitig als Zustimmung für den Anschluss an Bayern gewertet.

Auch das Abstimmungsergebnis im Königsberger Amtsgebiet war eindeutig. In der Stadt wurden 22 Stimmen für Thüringen und 301 Stimmen für Bayern abgegeben. In den Amtsdörfern sah es, bis auf wenige Ausnahmen, ähnlich aus: Altershausen mit Windberg: Thüringen 9 : Bayern 76 Stimmen; Dörflis 2:43, Erlsdorf 2:0, Hellingen 35:55, Köslau 2:55, Kottenbrunn 29:5, Nassach 3:84.

Gerätselt wurde natürlich, warum so wenige Bürger des Coburger Landes für Thüringen votiert hatten. Die schlechten politischen Verhältnisse können es nicht gewesen sein, denn in Bayern ging es zu der Zeit nach der Entmachtung des Königs fast noch chaotischer als in Thüringen zu. Auf der anderen Seite war der Staat Thüringen eine Neugründung. Wie und welche politischen Kräfte zukünftig dort bestimmend sein würden, das war ungewiss. Sicher hatte das Ergebnis der Abstimmung auch seinen Grund darin, dass sich die Coburger und die Königsberger als Franken fühlten und den Anschluss an das fränkische Nordbayern als eine natürliche Zusammenführung betrachtet haben.

Die Glocken läuteten

Nach einem daraufhin abgeschlossenen Staatsvertrag zwischen dem Freistaat Coburg und dem Freistaat Bayern, durch Reichsgesetz am 30. April 1920 verkündet, trat der Anschluss an Bayern am 1. Juli 1920 in Kraft. Die Exklave Königsberg mit all ihren Gemeinden wurde dem bayerischen Regierungsbezirk Unterfranken zugeteilt.

Am 1. Juli 1920 läuteten in Königsberg, so ist in alten Aufzeichnungen nachzulesen, zwischen 11 und 12 Uhr die Glocken der Marienkirche. Am darauf folgenden Sonntag, dem 4. Juli, gedachte Superintendent Epler in seiner Predigt des auch für die Kirche so bedeutsamen Tages. Denn mit der Eingliederung nach Bayern verlor Königsberg, das aufgrund seiner Zugehörigkeit schon immer evangelisch-lutherisch geprägt war, auch den Superintendenten. Es folgte die Abstufung zur Pfarrei, die dem Dekanat Rügheim angegliedert wurde.

Epler ging in seiner Ansprache auf die zwiespältigen Gefühle der Gemeinde ein, umschrieb die in Königsberg aufkommende pessimistische Stimmung und erinnerte die Gemeinde an ihre Pflichten gegenüber der neuen Obrigkeit. "Mit Wehmut nehmen wir Abschied vom Alten und mit Vertrauen sehen wir dem Neuen entgegen."

Dass diese gemischten Gefühle bei vielen Königsbergern nicht zu Unrecht aufkamen, war auch in weiteren Verlusten begründet, die die Eingliederung nach Bayern mit sich brachte. So verlor die Stadt ihre Kreisfreiheit und wurde dem Landkreis Hofheim unterstellt. Königsberg unterstand bis dahin keinem Bezirksamt, sondern direkt dem Innenministerium.

Dieser Statusverlust eines Amtsstädtchens war in der damaligen Zeit gleichbedeutend mit einem wirtschaftlichen Niedergang. Es gab keinen Ausgleich für den Zentralitätsverlust wie bei den Gebietsreformen in Bayern 1972 und 1978. Die Königsberger hatten unter der folgenden Armut zu leiden, zumal die Wirtschaftskrisen der 20er Jahre hinzukamen.

Dass Königsberg diese Eingliederung nicht so ohne weiteres hinnahm, zeigt sich an verschiedenen Versuchen, die unternommen wurden, um die Eigenständigkeit weiterhin beizubehalten. Ein Versuch, den der damalige Oberbürgermeister der Stadt (Königsberg hatte damals als Stadtoberhaupt einen OB) Wilhelm Curt Roesler gleichsam als letzte Attacke unternahm, war seine Forderung, in den Staatsvertrag zwischen Coburg und Bayern die Bestimmung aufzunehmen: "Unter Dispensierung von entgegenstehenden bayerischen gesetzlichen Vorschriften wird die Stadt Königsberg gemäß ihrer von Alter her überkommenden Verfassung unmittelbar der Aufsicht der Regierung unterstellt. Sollte die bayerische Staatsregierung nicht bereit sein, diesen Satz in den Staatsvertrag aufzunehmen, wird gefordert, die Bezirksämter Haßfurt, Hofheim und Ebern umzugruppieren und ein Bezirksamt Königsberg zu errichten, also einen Landkreis Königsberg zu schaffen." So amüsant diese Forderung, die natürlich nicht erfüllt wurde, heute auch erscheinen mag, man muss den damaligen Stadtvätern bescheinigen, dass sie für die Interessen ihrer Stadt gekämpft haben.

Ein herber Verlust war später auch die Auflösung des Amtsgerichts in Königsberg, die zum 1. April 1925 beschlossen wurde. Königsberg ging im Amtsgerichtssprengel Hofheim auf, womit automatisch die Zuständigkeit des Landgerichtsbezirks Bamberg (und nicht mehr Coburg) gegeben war. Das Amtsgericht war immerhin die einzige staatliche Behörde am Ort und konnte auf eine lange Geschichte zurückblicken.

Das, was an Ausgleichsrechten zugunsten der Stadt im Staatsvertrag ausgehandelt wurde, war spärlich, hatte aber gerade deswegen ein umso größeres Gewicht. So sind im Schlussprotokoll zum Staatsvertrag vom 14. Februar 1920 für Königsberg zwei wichtige Bestimmungen enthalten: 1. "Die Sparkassen des Freistaates Coburg werden in der bisherigen Art ihres Geschäftsbetriebes nicht beschränkt". Dieser Satz war wichtig. Damit wurde der städtischen Sparkasse Königsberg der Weiterbetrieb ihrer weit verzweigten Geschäftsstellen garantiert. Dieses Recht wurde später nach Verhandlungen mit der Sparkasse Ostunterfranken und in neuester Zeit mit der Sparkasse Schweinfurt-Haßberge abgesichert, indem die Stadt Königsberg Teilhaber dieser Sparkassen ist.

2. "Die Verlegung eines Bayerischen Forstamtes nach Königsberg in Franken wird zugesichert." Diese Bestimmung enthielt nicht nur eine Einrichtungsverpflichtung, sondern auch eine Bestandsgarantie des Freistaates Bayern, an deren Einhaltung sich die bayerische Staatsregierung aber 1973 nicht mehr verbunden fühlte. Bei der Neuorganisation der Forstverwaltung beabsichtigte der Staat das staatliche Forstamt Königsberg zugunsten der Forstämter in Eltmann und Ebern aufzulösen. Die Bestandsgarantie für Königsberg sei zwar Vertragsinhalt gewesen, aber die veränderten Verhältnisse würden die Nichteinhaltung des Vertrages rechtfertigen. Gegen diese Auffassung klagte Königsberg, unterstützt durch die Stadt und den Kreis Coburg. Das Bundesverfassungsgericht gab allerdings mit Beschluss vom 27. November 1974 der Klage mit der Begründung nicht statt, dass die Beibehaltung einer Forstamts-Zweigstelle ein ausreichender Ausgleich für das selbstständige Forstamt sei. Das Recht auf diese Zweigstelle ist der Stadt also höchstrichterlich bestätigt worden. Inzwischen ist daraus aber eine Außenstelle des Amtes für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Schweinfurt mit der Bezeichnung "Forstrevier Königsberg in Königsberg in Bayern" geworden. Der bittere Beigeschmack bei dieser Entwicklung ist, dass die Bayerische Staatsregierung in der Lage war, einfach über höhere Werte hinwegzugehen. Sie widersetzte sich der Geschichte, der Tradition und der vertrauensvollen Partnerschaft.

Aber trotz dieser insgesamt eher negativen Erfahrungen lebte Königsberg weiter und überlebte auch die deprimierende Zonenrandlage in der Nachkriegszeit. Und das durch den Leistungswillen arbeitenden Menschen, durch ideenreiche Unternehmer und Handwerksbetriebe sowie durch tatkräftige Führungskräfte, die in diesem benachteiligten Gebiet nicht aufgaben. Königsberg ist zu einem leistungsstarken Kleinzentrum in dem 1972 gebildeten Landkreis Haßberge geworden.

Zurück zur Ausgangsfrage: Warum dieser Zusatz "i. Bay."? Wie kam es dazu? Denn eigentlich hätte es bei dem Zusatz "in Franken", trotz der "Eingemeindung" nach Bayern bleiben können.

Der Zusatz ist auf eine Aktion des damaligen Königsberger Oberbürgermeisters Roesler zurückzuführen. Ansonsten sehr glücklos bei seinen Bemühungen, die Unabhängigkeit seiner Stadt zu bewahren, schrieb er seinerzeit an alle maßgebenden Stellen: "Damit die ständige Verwechslung unserer Stadt mit Königsberg in Preußen, die fast zu täglich störenden Verzögerungen in der Zustellung von Post und Bahnsendungen führt, für die Zukunft vermieden wird, bitten wir, nach dem Übergang von Sachsen-Coburg an Bayern für unsere Stadt die amtliche Bezeichnung "Königsberg in Bayern" festsetzen zu wollen." Die Verwechslungen gab es wohl durch den ähnlichen Zusatz bei Königsberg in Franken mit "i. Fr." und Königsberg in Preußen mit "i. Pr."

Und so ist es geschehen. Und so ist es bis auf den heutigen Tag nach genau 100 Jahren geblieben: Königsberg in Bayern.