Druckartikel: "Anna Karenina"-Inszenierung fordert das Publikum heraus

"Anna Karenina"-Inszenierung fordert das Publikum heraus


Autor: Gerda Völk

Lichtenfels, Mittwoch, 04. März 2015

von unserer Mitarbeiterin Gerda Völk Lichtenfels — Hätte Leo Tolstoi seine Anna Karenina in der Fassung von Rolf Heiermann wiedererkannt? Zumindest nicht am sparsam gehaltenen Bühn...
Silvia Steger - hier mit Johannes Aichinger - in der Titelrolle von Anna Karenina nach dem Roman von Leo Tolstoi Foto: Völk


von unserer Mitarbeiterin Gerda Völk

Lichtenfels — Hätte Leo Tolstoi seine Anna Karenina in der Fassung von Rolf Heiermann wiedererkannt? Zumindest nicht am sparsam gehaltenen Bühnenbild. In der Bearbeitung durch das Fränkische Theater Schloss Massbach genügt eine spartanisch in weiß gehaltene Bühne. Genügen fünf Türen und ein Podest in der Mitte, um eine komplexe Handlung darzustellen. Auch wenn Tolstois 1877 fertiggestellter Roman an sich schon schwere Kost ist, als Konzentrat in Form eines Kammerspiels fordert die Geschichte das Publikum um einiges mehr heraus.

Viel Applaus

Die Vorstellung am Montagabend im Foyer der Lichtenfelser Stadthalle durfte sich über zahlreiche Besucher freuen. Am Ende gibt es viel Applaus. In "Anna Karenina" thematisiert der große russische Schriftsteller das Spannungsfeld von Liebe und Leidenschaft im Korsett gesellschaftlicher Normen der höheren Sankt Petersburger und Moskauer Gesellschaft des 19. Jahrhunderts. Die Massbacher Inszenierung konzentriert sich im Wesentlichen auf die Amour fou zwischen dem jungen attraktiven Grafen Wronskij (Johannes Aichinger) und der schönen lebensfrohen Anna Karenina (Silvia Steger). Ein weiterer Strang der Handlung ist die Beziehung zwischen Ihren Bruder Stiwa Oblonskij (Georg Schmiechen) und seiner Frau Dolly (Susanne Pfeiffer).
Zu Handlung: Anna Karenina reist von Sankt Petersburg nach Moskau, um die Ehe ihres leichtsinnigen Bruders Stiwa vor dem Scheitern zu bewahren. Stiwa hat seine Ehefrau Dolly mit ihrer früheren Gouvernante betrogen. Der Kinder wegen kann und will Dolly ihren Mann aber nicht verlassen. In Moskau verliebt sich Leo Tolstois unglückliche Romanheldin Anna in den Grafen Wronskij, dessen Mutter sie bereits im Zug kennenlernte. Für ihre große Liebe gibt Anna ihr bis dahin geordnetes Leben an der Seite des gefühlskalten Ministerialbeamten Alexej Karenin (Marc Marchand) auf und verlässt Mann und den gemeinsamen Sohn Serjoscha, um mit Wronskij zusammenzuleben. Beide sind einander verfallen und für beide gibt kein entkommen. Zumindest nicht für Anna, der im Falle einer Scheidung die endgültige Trennung von ihrem geliebten Sohn droht. Die Inszenierung von Ingo Pfeiffer folgt den Roman. Die Geschichte um einen Ehebruch nimmt am Bahnhof ihren Anfang, streift gesellschaftliche Ereignisse wie Bälle und Soireen bis zum berühmten Pferderennen, bei dem der Konflikt mit gesellschaftlichen Normen und Tabus in seiner ganzen Breite aufbricht. Das Podest auf dem die Handlung spielt wird zum Bahnsteig, Liebesnest, zur Tribüne der Pferderennbahn, zum Wochenbett in dem Anna ihre Tochter leblos zur Welt bringt und letztlich auch zum Exil. Johannes Aichinger, erstmals im Ensemble der Massbacher spielt den smarten Graf Wronskij, der Annas Liebe nicht gewachsen ist, dem die Weite des gemeinsamen Landlebens ziemlich schnell zu eng wird. In der Rolle als Anna Karenina agiert Silvia Steger als Liebeswahnsinnige mit tiefer Leidenslust, die nicht bereit zu sein scheint, einen Ausweg aus der Situation zu finden und immer mehr dem Morphium verfällt.

Widersprüchliche Gefühle

Zu den großen Szenen des Romans zählt jener tragische Moment, in dem sich Anna Karenina vor einen Zug wirft und damit Selbstmord begeht. Vor jenem entscheidenden Moment werden in der Massbacher Inszenierung alle Türen aufgerissen. Anna gerät ein letztes Mal in einen Strudel an widersprüchlichen Gefühlen und gesellschaftlicher Verachtung, die vielleicht stärkste Szene (und lauteste) der gesamten Inszenierung. Um der Handlung folgen zu können, musste man allerdings die Romanvorlage schon gut kennen. Konsequent auch der Verzicht auf jegliche optische Opulenz. Einzig die Taschenuhr, mit der Annas Bruder Stiwa demonstrativ spielt, vermittelt einen Hauch aristokratischer Überheblichkeit.