Druckartikel: Angeklagte sammeln Pluspunkte

Angeklagte sammeln Pluspunkte


Autor: Udo Güldner

Bamberg, Mittwoch, 25. Juli 2018

Ein anfangs versuchter Totschlag an einer jungen Polizistin könnte sich als "nur" gefährliche Körperverletzung herausstellen.
Ein Brüderpaar steht nach einem ausgeuferten Junggesellenabschied vor dem Landgericht. Foto: Ferdinand Merzbach


Nach zwei von vier Verhandlungstagen am Landgericht Bamberg haben die beiden Angeklagten - ein Brüderpaar aus dem Landkreis Bamberg - viele Pluspunkte sammeln können. Nicht nur dass der anfangs versuchte Totschlag an einer 26-jährigen Polizistin sich mehr und zu einer "nur" gefährlichen Körperverletzung gewandelt hat. Die Umstände der Tat und die Persönlichkeit des Täters könnten verhindern, dass er dafür ins Gefängnis muss.
Der Junggesellenabschied für Sven H. (Name geändert) sollte ein unvergesslicher Abend werden - und das wurde er dann auch. Allerdings endete er Anfang Oktober 2017 nicht mit einem harmlosen Kater, sondern einer gefährlichen Anzeige. Selbst kann er sich nicht an den Abend und die Nacht erinnern, an dem er eine 26-jährige Streifenpolizistin bis zur Bewusstlosigkeit gewürgt haben soll. Er stritt es vor dem Vorsitzenden Richter Manfred Schmidt und dessen fünf Kollegen des Schwurgerichtes aber auch nicht ab.
"Man hat ordentlich gebechert," so Rechtsanwalt Maximilian Glabasnia (Bamberg), was die rund 1,88 Promille bei seinem Mandanten Sven H. erklärt. Nicht aber die Tat, die sich selbst engste Freunde nicht vorstellen konnten, darunter ein Polizeibeamter aus Erlangen.


Ärger in und vor der Disco

Wie mehrere Zeugen bestätigten, hatte es bereits in der Disco selbst Ärger gegeben, weil sich die Teilnehmer des Junggesellenabschiedes auf der Tanzfläche "daneben benommen" hätten. Deshalb wurde auch Sven H. aus dem Etablissement geworfen. Draußen geriet er beim Versuch, wieder in das Lokal zu gelangen, offenbar mit einem der Türsteher aneinander. Weil dieser angeblich die hochschwangere Ehefrau Sven H.s beleidigt haben soll, ging es mit "Missgeburt" und "Hurensohn" verbal hoch her. Auch einige Glasscheiben bekamen den Frust ab, hielten allerdings stand.
Als die herbeigerufene Polizeistreife nach dem Rechten sehen wollte, eskalierte die bis dahin nur lautstarke Situation vollends. Durch ein Missverständnis hielt sie die beiden Brüder für die Streithähne und wollte sie voneinander trennen. Weil er augenscheinlich glaubte, seinen jüngeren Bruder beschützen zu müssen, griff Sven H. sodann mit einer Hand oder beiden Händen "an die Gurgel". So sah es zumindest der zweite Streifenpolizist.
Neben Sven H. auf der Anklagebank sitzt sein Bruder Eric H., der einen der Security-Mitarbeiter der Disco noch am Boden, während er von den Polizeibeamten gefesselt worden war, in den Oberschenkel gebissen haben soll, dass es blutete und eine Narbe zurückblieb. Deshalb der Vorwurf der vorsätzlichen Körperverletzung. Weil sich die Brüder mit Händen und Füßen gegen die Maßnahmen der Polizeibeamten gewehrt hatten, und Eric H. die Polizistin gegen ein Türgitter gedrückt haben soll, kommt ein Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte obendrauf. Allerdings einer, der ohne Schläge und Tritte auskam und deshalb auch keine Verletzungen zurückließ.


Ambulante Psychiatrie

Im Laufe des Prozesses vor der Großen Strafkammer sammelte Sven H. einen Pluspunkt nach dem nächsten, der ihm vielleicht am Ende sogar eine Bewährungsstrafe einbringen könnte. Nicht nur, dass er sich kurz nach dem Vorfall selbst zur Polizei begeben hatte und wenige Wochen nach der Tat eine ambulante Psychotherapie begonnen hat.
Wie sein Bruder ist er bislang nicht vorbestraft. Er hat sich bei seinem Opfer entschuldigt und die horrende Summe von 20 000 Euro in bar als Täter-Opfer-Ausgleich übergeben.
Außerdem kann er besondere Umstände geltend machen, die bisher auch die sonst übliche Untersuchungshaft vermeiden halfen: eine gerade geschlossene
Ehe, ein wenige Monate altes Kind, einen sicheren und einträglichen Beruf, ein begonnener Hausbau ...
Indes scheint der Ton gegenüber den Bamberger Polizisten insgesamt rauer zu werden. Wenn man einem 52-jährigen Beamten Glauben schenkt, gehören Tätlichkeiten und Beleidigungen inzwischen zum traurigen Alltag der Gesetzeshüter. "Wir bringen gar nicht mehr alles zur Anzeige, sonst hätten wir riesige Aktenberge." Als Ursache hat der erfahrene Polizist die
enthemmende Wirkung des Alkohols und eine Verrohung der gesellschaftlichen Sitten ausgemacht. Er selbst hätte auch schon einen Schlag auf den Kehlkopf bekommen und sei danach wehrlos am Boden gelegen und hätte keine Luft mehr bekommen. "Da fühlt man sich echt beschissen." Als Folge würden, wenn es die Einsatzlage zuließe, immer mehrere Streifen ausrücken.