Alternativen zur Landflucht
Autor: Josef Hofbauer
Forchheim, Donnerstag, 30. August 2018
Der Wirtschaftswissenschaftler und Unternehmensberater Professor Clemens Renker räumt dem ländlichen Raum ausgezeichnete Zukunftschancen ein. Allerdings ist das an ein paar Bedingungen geknüpft.
JOsef Hofbauer Urbanisierung lautet das Zauberwort. Soll heißen: 70 Prozent der Landbevölkerung, im Osten Deutschlands örtlich bis zu 96 Prozent kehren in den nächsten Jahren dem Land den Rücken. Das behauptet zumindest das Berliner Institut für Bevölkerung und Entwicklung.
Der Pautzfelder Professor Clemens Renker dagegen widerspricht in seinem jüngst erschienenen Buch: "Das neue Dorf - Gestalten um zu überleben". Die Dörfer hätten sehr wohl Zukunft. Allerdings nur, wenn die dort lebenden Menschen die Chancen erkennen. Er räumt ein: "Die meisten Dörfer sind unterwegs in eine unbekannte Zukunft" - ohne Navi.
Auch Bundespräsident Walter Steinmeier (SPD) glaubt an die Zukunft ländlicher Räume. Er startete jüngst das Projekt "Land in Sicht". "Betonieren, pflastern, entseelen und entgeistern ist jedenfalls der falsche Weg", urteilt Renker.
Orientierung gesucht
Der Weg zum Erfolg führe über das Miteinander, verdeutlicht der Wirtschaftsexperte. Es gelte, die Identifikation der Bürger mit ihrer Region zu stärken, ein positives Image aufzubauen. Der tägliche Weg zur Arbeit in die Stadt und die vielfältigen Verlockungen dort hätten als Vertreiber aus dem dörflichen Paradies gewirkt, denn aus Wohnhäusern wurden Repräsentationsobjekte. Ein Bruch mit den traditionellen Rollen war die Folge.
Dem Sterben landwirtschaftlicher Betriebe, dem Verschwinden der Tante-Emma-Läden und Wirtshäuser und der Abschaffung der Dorfschulen folge nun ein Rückzug der Kirche aus dem Dorf. Dabei würden die Fragen der Menschen nach Orientierung, nach einer Verankerung immer dringender, zumal gerade kleineren Ortsteilen bereits in den 1970-er Jahren durch die Verwaltungsreform die Selbstständigkeit genommen wurde.
Mitmacher statt Miesmacher
Es gelte einer Identitätskrise entgegenzuwirken. Denn in einigen Punkten hätten Dörfer vorteilhaftere Leistungen und mehr Lebensqualität zu bieten als die Anonymität der Städte. Dabei seien Macher gefragt. Sie bräuchten die Unterstützung der Mitmacher, die Renker auf 70 Prozent beziffert. Sie müssten sich gegen die etwa 20 Prozent an Miesmachern durchsetzen, unterstreicht Renker. Kooperation statt Konkurrenz nennt der Wirtschaftsexperte als wichtige Säule des Handelns. Ebenso wichtig: Kommunikation, Kreativität, und menschliche Fähigkeiten wie Zuverlässigkeit. So entstünden Gemeingüter, die weder käuflich noch kopierbar seien.
Menschen mit Macher-Qualitäten, Kompetenzen und Schlüsselqualifikationen, die innovative Projekte auf den Weg bringen, wirkten als Vorbilder. Davon könnten die Bewohner anderer Dörfer lernen. Sie würden damit auf ihre Weise zu treibenden Kräften. Ziel müsse es sein, die Grundbedürfnisse zu befriedigen, die Menschen auf dem Dorf suchen. "Das sind Sicherheit und Schutz, Ordnung und Ruhe, kurz Stabilität" analysiert Renker.