Druckartikel: Als Hosen noch aus Loden waren

Als Hosen noch aus Loden waren


Autor: Hannah Hemel

Herzogenaurach, Freitag, 19. Sept. 2014

Geschichte  Bevor sich in der Bekleidungsindustrie die Kunstfasern durchsetzten und die Produktion in Billiglohn-Länder verlagert wurde, war Herzogenaurach für mehrere Jahrhunderte eine Hochburg der Tuchmacherei. Heute erinnert daran nicht mehr viel in der Stadt.
Die Familie Wirth (Bildmitte) mit ihren Webern und Spinnerinnen vor dem Firmengebäude an der Schütt (heute Versicherungsbüro Wirth und Firma Kuwe) mit einem Bild des Firmengründers. Rechts im Bild liegt ein Ballen Schafwolle zum Zerkleinern (Kartätschen). Foto: Familie Wirth


von unserem Mitarbeiter 
klaus-Peter Gäbelein

Herzogenaurach — Webstühle und Walken in den Mühlen bestimmten einst das Stadtbild von Herzogenaurach. Daher beschäftigte sich der Heimatverein unlängst mit der Geschichte der Tuchmacher in der Stadt. Der Leiter des Arbeitskreises "So war es früher", Herbert Dummer, hatte zum Gespräch über die Herzogenauracher Tuchmacher eingeladen. Fachkundige Gesprächspartner waren Norbert und Heinz Wirth sowie Michael Wirth, deren Vater bzw. Großvater bis in die 60er-Jahre die "Tuchwarenfabrik Wirth & Söhne" an der Aurach geführt haben.
Seit 1499 betrieben die Wirths eine Tuchmacherei und stellten erst unter Friedrich Wirth (Jahrgang 1907) in den 60er-Jahren des letzten Jahrhunderts den Betrieb ein. Bis weit in das 19. Jahrhundert war Herzogenaurach eine Tuchmacher- und Weberstadt. Noch 1880 gab es in jedem vierten Haus Tuchverarbeitung.
Im selben Jahr, in dem der Ort erstmals als "oppidum", also als Stadt bezeichnet worden ist (1348), werden die Tuchmacher als "wollenslaher" (Wollschläger) urkundlich erwähnt. Zusammen mit den "Fleischhackern", Bierbrauern und Webern besitzen sie Vorrangstellung in der Stadt. Und 100 Jahre später (1451) wird erstmals ein "romgarten", eine Wiese mit Tuchmacherrahmen erwähnt. Noch heute gibt es die Straßenbezeichnung "Rahmberg", nämlich den unteren Rahmberg ab dem Schweinehirten-Turm und den oberen Rahmberg westlich des Wiwa-Weihers. Die "rom" waren hölzerne Gestelle, in denen die fertigen Stoffe zum Trocknen bzw. zum Dehnen und Strecken eingespannt wurden.
Ab 1475, so hat Heimatforscher Luitpold Maier festgestellt, erhielten die Tuchmacher vom Landesherrn, dem Fürstbischof Philipp Graf von Hardenberg, eine geschriebene Zunftordnung. Weitere 400 Jahre bestimmten sie das Leben und die Arbeiten in der Stadt. Während die hiesigen Weber Leinen herstellten, wurden von den Tuchmachern Filz-, Loden- und Flanellstoffe produziert, die fast ausschließlich nach Nürnberg zum Verkauf gelangten. Mit dem hölzernen Schubkarren oder auf dem Rücken mittels eines "Reefs"(hölzernes Tragegestell) brachte man die fertigen Stoffe in die Noris.

Wasserkraft betrieb Walken

Um Filz- oder Lodenstoffe herzustellen, bedurfte es einer Walke, also einer Maschine, die die Wollstoffe durch Stampfen und Stoßen verdichtete. Und weil solche Walken am einfachsten mit Wasserkraft betrieben werden konnten, wurden sie ab 1519 in den hiesigen Mühlen eingebaut: in der Eckenmühle, der Stadtmühle, der Eichelmühle, der Niederndorfer und schließlich auch in der Heinrichsmühle. Letztere konnte noch bedient werden, nachdem die Maschinen in der Wirthschen Fabrik an der Schütt im Juli 1941 durch ein verheerendes Hochwasser vorübergehend außer Betrieb gesetzt worden waren. Die Walker haben letztlich auch vielen Herzogenaurachern zu ihrem Familiennamen verholfen, nämlich den zahlreichen "Welkern" (Walker = Welker).
Während die feineren Flanellstoffe für vornehmere Bekleidung und zum Verpacken der Fürther Spiegel für den Transport benötigt wurden, waren die Filzstoffe und Loden für die tägliche Bekleidung der ländlichen Bevölkerung nicht wegzudenken. Hüte, Joppen, Hosen und Gamaschen aus Herzogenauracher Loden waren beliebt und bekannt, waren sie doch ein sicherer Schutz bei Wind, Regen und Kälte.
1819 zählte man in der Stadt 40 Meister, 1844 waren es bereits 68 Meister sowie zahlreiche Gesellen und Lehrlinge. Beliefert wurden sie von rund 100 Spinnerinnen, welche die großen Wollballen zerrupften, "kartätschten" (zerkleinerten) und verspannten. Im selben Jahr zählte man zusätzlich 13 Weber und 21 Zeugmacher. Das waren Tuchmacher, die grob versponnene Wollstoffe, "billigeres Zeug", herstellten.
Schließlich wurde 1872 die "Wollwarenfabrik Wirth" an der Schütt gegründet und bereits ein Jahr später auf der Weltausstellung in Wien ob der Qualität ihrer Produkte prämiert sowie 1882 auf der Bayerischen Landesausstellung in Nürnberg ausgezeichnet. Ab 1898 durfte die Firma die Ehrenbezeichnung "Wollwarenfabrik August Wirth & Söhne - Hoflieferanten seiner Königlichen Hoheit des Prinzen Ludwig Ferdinand von Bayern" tragen.
Herzogenaurachs ältestes Industriedenkmal steht an der Aurach. Es ist der mächtige Backsteinschlot, der die frühere Weberei überragt. Er war zu Beginn des 20. Jahrhunderts gebaut worden. Und vom angebauten Kesselhaus wurden die Webstühle und die Walke mit Dampf versorgt und angetrieben. Vor dem Ersten Weltkrieg produzierte die Weberei Wirth Stoffe für Pferdedecken und Uniformmäntel der Soldaten.
Auch wenn die Firma nach den beiden Kriegen wegen des Kohlemangels arg gebeutelt wurde und nur mit gebremster Kraft produzieren konnte und die Überschwemmung 1941 sowie ein Brand 1945 in der Heinrichsmühle das Unternehmen hart trafen, lief die Herstellung nach der Währungsreform wieder auf vollen Touren. 14 bis 18 Mitarbeiter zählte man damals.

Kunstfasern statt Wolle

Und trotzdem begann das Totenglöcklein für die Tuchindustrie in Herzogenaurach zu läuten. Kunstfasern lösten die schwereren Wollstoffe ab, und auch für die Filzschuh- und Schlappenherstellung wurden mangels Aufträgen kaum mehr Stoffe benötigt. Dazu "liefen die Arbeiter den kleinen Betrieben davon, weil die aufstrebenden Herzogenauracher Sportschuh-Fabriken, die Firmen Weiler und Schaeffler höhere Löhne bezahlten", erzählte Norbert Wirth, der noch ergänzt: "Unser Vater hat sich am Ende richtiggehend aufgearbeitet, um den Betrieb am Leben zu erhalten, konnte aber das Aus nicht verhindern."
In der Herzogenauracher Industrie war ein Prozess eingeläutet worden, der nur ein, zwei Jahrzehnte später die gesamte Schuhindustrie und selbst die Sportschuhproduktion erfassen sollte. Ein Betrieb der einst 18 Schuhfabriken nach dem andern musste schließen oder seine Produktion ins billigere Ausland verlagern.